Enge Zusammenarbeit mit blinden und beeinträchtigten Menschen
Um die Bedürfnisse der Nutzer*innen aus erster Hand zu erfahren, lassen die Forscher*innen der HAW Hamburg den Blindenführhund regelmäßig von Menschen mit Seheinschränkungen testen, um ihn weiter zu verbessern. Das Team arbeitet beispielsweise mit dem Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg (BSVH) zusammen sowie mit der Seniorenresidenz Augustinum. Dort kam der Shared Guide Dog am 23. Juni zum Einsatz: Einige Bewohner*innen trauten sich, den Hund „auszuführen“ – in einem kleinen, privaten Park nahe der Seniorenresidenz.
Die 80-jährige Roswitha Howar ist auf einem Auge blind, auf dem anderen hat sie eine Sehkraft von lediglich 20 Prozent. Ohne ihren Rollator verlässt sie nicht das Haus. Heute hat sie ihn allerdings eingetauscht gegen den digitalen Blindenhund, dessen Navigation den Praxistest bestehen muss. Die elegant gekleidete Dame mit den kinnlangen weißen Haaren lässt sich vom „Hund“ durch einen kleinen Park nahe der Elbe führen. Hier, auf privatem Gelände, greifen noch nicht die hohen Anforderungen ans autonome Fahren aus dem Straßenverkehr. Denn: Die hohen Bäume stören das GPS-Signal, das wissen die Forscher*innen. „Wir rechnen damit, dass wir manchmal ein bis drei Meter neben der Spur sind. Das können wir uns im Straßenverkehr natürlich nicht erlauben“ erklärt Prof. Dr. Jochen Maaß, der zusammen mit Prof. Henner Gärtner das Projekt vorantreibt. Er lehrt und forscht am Department Informations- und Elektrotechnik. Daher nutzen die Wissenschaftler*innen neben GPS-Signalen auch UWB. Die Abkürzung steht für Ultra-Breitband-Technologie, die sich in Städten wie Hamburg bald flächendeckender ausbreiten wird, da sind sich die Forscher*innen sicher. Um beide Systeme – GPS und UWB – zu nutzen, müssen die einzelnen Sender und das GPS-System verbunden werden. Alle 30 bis 60 Meter wird ein Sender benötigt. Dies hört sich viel an, doch laut der Forschenden sei diese Art von Infrastruktur nur noch eine Frage der Zeit, denn sie würde auch von autonom fahrenden Autos benötigt.
Mit langsam Schritten lässt sich Roswitha Howar durch den Park führen. „Ziel erreicht“ konstatiert der Blindenhund. Howar ist am Ende der vorher definierten Strecke angekommen. Komplett rund lief die Testfahrt durch den kleinen Parkweg, der von Bäumen gesäumt ist, noch nicht. Oft stoppte er vor Bäumen und suchte eine alternative Route. Doch genau das ist das Ziel des Tests: Schwachstellen zu erkennen und danach Lösungen für das Problem zu entwickeln. Dafür hat das Team des Shared Guide Dogs noch zwei Jahre Zeit. So lange wird das Projekt noch von der HAW Hamburg und der Hamburgische Investitions- und Förderbank gefördert. Dann sollen die Geräte für bis zu 5.000 Euro auf den Markt kommen.
Ein Hund als Leihfahrzeug
Der Gedanke, die knappe Ressource „Blindenhund“ zu teilen – wie beim Stadtrad – wird mit dem Wort „Shared“ ausgedrückt. „Wie beim Bike Sharing wird auch der Shared Guide Dog zahlreichen Personen zur Verfügung stehen. Das senkt die Kosten“, erklärt Prof. Maaß. Der Blindenhund könnte beispielsweise in einer Wohngruppe für Blinde beheimatet sein oder eben in einer Seniorenresidenz. Dort könne er einzelne Personen von der nächstgelegenen U-Bahn-Station abholen oder zum Arzt leiten, so der Professor für Automatisierungstechnik. Seniorin Waltraud Pulkenat, eine der Testerinnen, könnte sich vorstellen, einen autonomen Blindenführhund zu benutzen. „Ich fahre jeden Tag mit dem Bus nach Altona“, erzählt die 95-Jährige, die bereits seit 16 Jahren in der Seniorenresidenz wohnt. Auch sie ist auf einen Rollator angewiesen. „Mit diesem Fahrzeug fühle ich mich viel sicherer, weil es schwerer ist und ich mich darauf abstützen kann.“
Text: Tiziana Hiller