Und um diese „Totale“ ging es auch im Projekt „ModTTX“?
Jonas Jost: Genau. ModTTX ist ein EU-finanziertes Projekt, das Stabsrahmenübungen auf europäischer Ebene unter der Leitung des THW durchführt. Das aktuelle Projekt ist auf zwei Jahre ausgerichtet und die Partner kommen aus Deutschland, Belgien, Dänemark, Slowenien und Kroatien.
Als klar wurde, dass wir vor dem Hintergrund der Pandemie im Oktober nicht in einem Partnerland vor Ort würden trainieren können, brauchten wir sehr schnell eine digitale Lösung. Und die hat die HAW Hamburg geliefert. In nur einem Monat! Damit sind wir die ersten gewesen, die das Projekt in dieser Form europaweit durchführen konnten.
Professor Boris Tolg: In dieser kurzen Zeit konnten unsere Studierenden, unterstützt von Karsten Loer, Professor für Technik der Gefahrenabwehr im Bevölkerungsschutz, Markus Wiedemann, Experte für sogenannte Massenanfälle von Verletzten (MANV) und mir, natürlich keine neue Softwarelösung entwickeln.
Also haben wir Open Source-Lösungen zu einem Gesamtsystem zusammengebaut, das die Kommunikation mittels Videokonferenzen oder kostenloser Telefonie ermöglicht und mittels eines Green Screen konnten wir die Teilnehmer in unterschiedliche Umgebungen versetzen. Etwa einen Flughafen, um die reibungslose Einreise von Mensch und Material zu simulieren.
War die digitale Übung ein Erfolg?
Jonas Jost: Absolut und das nicht nur in Bezug auf die Inhalte der Übung selbst, also Kommunikation, Koordination oder Organisation. Wir leben in einer immer digitalisierteren Welt und haben das bisher zu sehr vernachlässigt. Die Erfahrungen mit dem digitalen ModTTX bringen uns weiter in der Anwendung digitaler Produkte. Und das ist hilfreich auch über die Pandemie hinaus.
Denn es gibt und gab immer wieder Situationen, in denen wir z.B. nicht zum Übungsort fliegen konnten. Etwa wegen extremer Wetterbedingungen oder als durch den Vulkanausbruch auf Island der Flugverkehr zum Erliegen kam. Digitale Anwendungen ersetzen die praktischen Übungen nicht, aber am Ende helfen sie uns leistungsfähig zu bleiben.
Professor Boris Tolg: Es ist schon richtig, nicht alles lässt sich digital erarbeiten. Einen Zugang zu legen, lässt sich nicht digital lernen. Aber Prozess- und Handlungsabläufe sowie Kommunikation lassen sich digital gut trainieren. Das hat ModTTX bewiesen.
Die Übungen sollen die Retter auf den Ernstfall vorbereiten. Sie Herr Jost, waren nach der Explosion im Hafen von Beirut für das THW vor Ort. Nicht Ihr erster Einsatz…
Jonas Jost: Aber ein Ad-hoc-Ereignis, das wir in dieser Form noch nicht kannten. Wir haben vor allem Erfahrung mit Naturkatastrophen, wie Wirbelstürmen, Überschwemmungen oder Erdbeben. Eine Explosion ist tatsächlich etwas anderes.
Nachdem die libanesische Regierung internationale Hilfe angefordert hatte, wurden wir zusätzlich vom Auswärtigen Amt gebeten, ein Botschaftsunterstützungsteam zu schicken.
Wir haben daraufhin zwei Teams zusammengestellt. Das eine bestand aus 50 Einsatzkräften des THW in Zusammenarbeit mit ISAR Germany und vier Hunden mit dem Ziel ´Suche und Rettung`. Leider konnten sie angesichts der Schwere der Explosion keine Überlebenden mehr finden. Parallel dazu gab es ein vierköpfiges Team, drei Einsatzkräfte des THW und eine Einsatzkraft der Analytischen Task Force Deutschland, das die Botschaft im Krisenmanagement unterstützt hat, also eher auf der besagten Makroebene gearbeitet hat. Wir haben Informationen zusammengetragen: Was ist überhaupt passiert? Wer ist betroffen? Wie ist der Zustand der Gebäude? Welche internationalen Kräfte sind vor Ort und werden weitere benötigt? Und schließlich: Was bedeutet die Katastrophe für uns in Deutschland. Tatsächlich war unter den Opfern leider auch eine Mitarbeiterin der deutschen Botschaft.
Interview: Yvonne Scheller