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Geflüchtete Studierende aus der Ukraine

Nach der Flucht erfolgreich studieren?

Die Arbeitsstelle Migration an der HAW Hamburg ist für geflüchtete Studierende aus der Ukraine ein erster Anlaufpunkt bei allen Fragen rund ums Studieren in Hamburg. Doch die Voraussetzungen dafür sind nicht für alle gleich.

Prof. Dr. Louis Henri Seukwa

Louis Henri Seukwa, Professor für Erziehungswissenschaften und Leiter der Arbeitsstelle Migration, spricht sich gegen die Ungleichbehandlung von Geflüchteten aus der Ukraine aus.

Seit dem Beginn des Kriegsgeschehens in der Ukraine sind mehr als 700.000 Menschen nach Deutschland geflüchtet. Etwa 20.000 leben inzwischen in Hamburg, darunter auch viele Wissenschaftler*innen, Studierende und Studieninteressierte. Die Arbeitsstelle Migration an der HAW Hamburg unterstützt Studierende und Studieninteressierte mit vielfältigen Angeboten. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) fördert allein an der HAW Hamburg damit verbundenen Mehrbedarf mit knapp 100.000 Euro.

„Wir freuen uns über das zusätzliche Geld, das wir dringend benötigen“, sagt Prof. Dr. Louis Henri Seukwa, Leiter der Arbeitsstelle Migration. „Auch, wenn inzwischen insgesamt weniger Menschen nach Hamburg kommen, melden sich bei uns noch immer jede Woche rund 30 Personen, die eine Beratung für die Weiterführung oder die Aufnahme eines Studiums bzw. konkrete Unterstützungsangebote suchen.“

Eine erste Anlaufstelle bei allen Fragen rund ums Studium
Je nach Anliegen erhielten bislang über 300 Ratsuchende bei der Arbeitsstelle Migration direkt Antworten auf ihre Fragen oder sie wurden an andere Hochschulen oder Beratungsstellen weitervermittelt. Seit Kriegsbeginn findet einmal die Woche eine Online-Informationsveranstaltung speziell für die aus der Ukraine geflüchteten Studierenden statt. Die jeweiligen Termine finden sich auf den Webseiten der Arbeitsstelle sowie auf der Ukraine-Informationsseite. Weiterführende Workshops informieren über Hochschulzugangsvoraussetzungen, bieten Studienorientierung und beantworten Fragen zum Aufenthaltsstatus, zur Studienfinanzierung und zum Bewerbungsprozess. 

Etablierte Unterstützungsstrukturen
Die Arbeitsstelle Migration bietet mittlerweile für Studierende mit Migrations- bzw. Fluchterfahrung über den gesamten Student Life Cycle hinweg, vom Einstieg ins Studium bis hin zum Übergang in eine bildungsadäquate Berufstätigkeit, ein kompetenzorientiertes und studierendenzentriertes Beratungs- und Unterstützungsprogramm. Mit dem „Vorbereitungsstudium für geflüchtete Studieninteressierte“ hat die HAW Hamburg im Rahmen ihrer Strategie einer „migrationsbedingten Hochschulentwicklung“ eine fakultätsübergreifende Struktur eingerichtet, die den Besuch regulärer Lehrveranstaltungen und den Erwerb von Studienleistungen schon vor Nachweis des Sprachzertifikates und anderer Zugangsvoraussetzungen ermöglicht. So soll die fluchtbedingt durch Brüche gekennzeichnete Bildungsbiografie nicht unnötig weiter verlängert werden.

Die spezifische Lebenslage geflüchteter Studierender erfordert qualifizierte psychosoziale sowie migrationspädagogische Beratung und Unterstützung. Die HAW Hamburg hat mit der Arbeitsstelle Migration schon im Jahr 2018 eine nachhaltige Struktur geschaffen, um sich adäquat und effizient auf zukünftige Phänomene durch Migrationsbewegungen einzustellen. Dies ist nun sowohl für die Studierenden mit Fluchterfahrung als auch für die Hochschule selbst sehr hilfreich. „Wir sind mit der Arbeitsstelle Migration gut aufgestellt und profitieren von unseren Erfahrungen seit 2015, als Kriegsgeschehen in Syrien, Afghanistan etc. dazu führten, dass sich sehr viele Studierende mit Fluchterfahrung an die Hochschulen wandten, um ihr Studium (wieder) aufzunehmen“, so der Leiter der Arbeitsstelle. Dadurch konnten sehr kurzfristig schon zum Sommersemester 2022 zwei Gaststudierende und zehn Gasthörende aus der Ukraine an der HAW Hamburg willkommen geheißen werden.

Spracherwerb durch Bildungsintegration
Eine zentrale Zugangsvoraussetzung für ein Studium an einer deutschen Hochschule ist der Nachweis eines C1-Deutschzertifikats. Sie ist gleichzeitig für geflüchtete Studieninteressierte in Hamburg ein Hauptgrund, warum sich ihre Bildungszeit verlängert.  Denn es gibt nur wenige rein englischsprachige Bachelorstudiengänge. Die Universität Hamburg und die HAW Hamburg bieten beispielsweise insgesamt nur zwei englischsprachige Bachelor-Studiengänge an. 

„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass nicht nur Intensivsprachkurse die geflüchteten Studieninteressierten beim Spracherwerb unterstützen. Ab einem Sprachniveau B1/2 ist vor allem für den Fachspracherwerb eine Teilnahme an regulären Lehrveranstaltungen im Rahmen des Vorbereitungsstudiums enorm hilfreich. So können sich die Teilnehmer*innen schon vor der eigentlichen Zulassung die Sprache des jeweiligen Faches aneignen und lernen zugleich, sich für ihr Studium zu organisieren“, berichtet Prof. Dr. Louis Henri Seukwa. „Die studienbegleitenden multilingualen Angebote sind wie eine Rettungsweste für sie, auch weil sie gleich Kontakt zu anderen Studierenden mit und ohne Fluchterfahrung über die studentische Initiative der Arbeitsstelle Migration „Bunte Hände“ erhalten.“ 

Unterschiedliche Ausgangssituationen für aus der Ukraine geflüchtete Studierende
Gespräche mit den aus der Ukraine geflüchteten Studierenden zeigten, dass die Rahmenbedingungen nicht für alle gleich sind: Etwa zwei Drittel der aus der Ukraine geflüchteten Studierenden, die sich bei der Arbeitsstelle Migration an der HAW Hamburg melden, hat keine ukrainische Staatsbürgerschaft und kommt aus sogenannten Drittstaaten wie Nigeria, Marokko, Ghana und anderen afrikanischen Ländern. Sie berichten, dass sie schon auf der Flucht nach Deutschland Rassismuserfahrungen machen mussten und auch die Grenzen längst nicht so problemlos überschreiten konnten wie ihre ukrainischen Kommiliton*innen. 

Auch hier in Deutschland ist ihre rechtliche Situation eine andere als für diejenigen mit einem ukrainischen Pass. Der § 24 „Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz Aufenthaltsgesetz“, der am 4. März 2022 nach dem EU-Ratsbeschluss zur „Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms“ in Kraft getreten ist, wurde weitgehend dahingehend interpretiert, dass nur ukrainische Staatsbürger*innen schnell und relativ unkompliziert eine Aufenthaltsgenehmigung mit Arbeitserlaubnis und Sozialleistungen erhalten können. Die Menschen mit nicht-ukrainischer Staatsangehörigkeit, die in der Ukraine studiert und gelebt haben, werden in Deutschland aktuell nicht als Geflüchtete aus einem Land mit Kriegsgeschehen kategorisiert, sondern als Migrant*innen aus ihrem Herkunftsland. Wenn dieses als „sicher“ eingestuft wird, so galt für sie bis vor kurzem – wie für jede andere Migrant*in ohne Aufenthaltstitel – die 90-Tage-Frist zur Ausreise.

Inzwischen erhalten Studierende aus der Ukraine ohne ukrainische Staatsangehörigkeit in Hamburg zunächst für die Dauer von sechs beziehungsweise zwölf Monaten eine sogenannte Fiktionsbescheinigung. Damit erwerben sie eine Arbeitserlaubnis und haben Anspruch auf Sozialleistungen. Jedoch handelt es sich nur um ein vorläufiges und damit kein gesichertes Aufenthaltsrecht. Das wäre beispielsweise gegeben, wenn eine Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken ausgestellt wird.

„Doch das wiederum ist in den meisten Fällen völlig illusorisch“, weiß Prof. Dr. Louis Henri Seukwa. „Sie müssten in dieser Zeit nicht nur die entsprechenden Sprachzertifikate erwerben und Nachweise ihrer Qualifikation vorlegen, sondern auch noch einen „Finanzierungsnachweis“ erbringen, das heißt 10.332 Euro auf ein Sperrkonto überweisen. Das ist bei diesen Studierenden so gut wie ausgeschlossen. Sie hatten sich, wie wir von allen Ratsuchenden erfahren haben, bewusst wegen der niedrigen Lebenshaltungskosten und des europäischen Niveaus der Hochschulbildung für ein Studium in der Ukraine entschieden.“

Prof. Dr. Henri Louis Seukwa ist überzeugt, dass diesen jungen Menschen, die genauso vor dem Krieg geflohen sind wie ihre Kommiliton*innen mit ukrainischem Pass, dieselben Möglichkeiten angeboten werden sollten. „Ich hoffe sehr, dass sich die Politik hier noch weiterbewegt, das Riesenpotenzial dieser Menschen erkennt und zugleich der Ungleichbehandlung, die nur bestehende Rassismen weiter nährt, einen entschiedenen Riegel vorschiebt. Der positive Umgang mit geflüchteten ukrainischen Staatsbürger*innen könnte als Blaupause für eine Flucht*Migrationspolitik dienen, die den selbst proklamierten Werten Europas endlich für alle einlöst.“ 

Text: Maren Borgerding / Yvonne Fietz-Michalowski

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