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Prämierte Masterarbeit erforscht Einflussfaktoren auf die Leserlichkeit von Textschriften

Die Designforscherin Antonia M. Cornelius untersucht in ihrer Masterarbeit die vielseitigen Einflussfaktoren auf die Leserlichkeit von Textschriften. Das Besondere an ihrer Designforschung zur Leserlichkeit ist der interdisziplinäre Ansatz, der bisher vernachlässigt wurde. Das HAW-Zentrum für Designforschung an der Fakultät Design, Medien und Information zeichnete ihre Masterarbeit dafür aus.

Schrift

Schrift Cornelius-Antonia_Legilux_1

Antonia M. Cornelius ist Schriftgestalterin und Kommunikationsdesignerin der HAW Hamburg sowie aktuell Doktorandin der Designwissenschaft an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Ihre Masterarbeit zur Leserlichkeit von Textschriften schloss sie Ende 2017 am Department Design der HAW Hamburg bei Prof. Jovica Veljović und Prof. Dr. Michaela Diener ab. In ihrer Forschung verbindet sie verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen wie Neurobiologie, Psychologie und Physiologie mit Design.

Welche Rolle Textschriften in unserem Alltag spielen, wird deutlich, wenn man sich die facettenreichen Lesesituationen vor Augen führt: Diese reichen von gedruckten Texten in Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren, auf Flyern oder Plakaten und Leitsystemen im öffentlichen Raum bis zu digital angezeigten Inhalten auf Bildschirmen. „Die verwendeten Schriften sollten dabei immer für eine unmissverständliche Weitergabe der Informationen sorgen. Sowohl ihre Gestaltung als auch ihre typografische Anwendung bestimmen darüber, wie leicht oder schwer es einem Leser fällt, das Geschriebene aufzunehmen und zu verarbeiten“, sagt HAW-Absolventin Antonia M. Cornelius.

Obwohl die Leserlichkeit von Schriften in unserer Gesellschaft als selbstverständlich gilt, gibt es dazu kaum systematische Forschungen insbesondere in Kooperation mit Gestaltern, sodass bisher nur wenige aussagekräftige Ergebnisse vorliegen. Ein Anliegen von Cornelius ist daher die Belebung des Diskurses zwischen Wissenschaftlern und Designern. „In der Gestaltung meiner eigenen Schrift Legilux, deren Fokus auf bestmöglicher Leserlichkeit und einer zum Lesen einladenden Atmosphäre liegt, versuche ich jahrhundertealtes Wissen der Schriftgestaltung mit aktuellen Forschungsergebnissen verschiedener Disziplinen zu verknüpfen“, erklärt sie ihren Ansatz.

Interdisziplinärer Ansatz

Um herauszubekommen, welche Faktoren die Leserlichkeit beeinflussen, erforschte Cornelius zunächst die Wahrnehmungspsychologie und Kognitionswissenschaft. Drei grundlegende Schritte gehören zum Lesen: Zuerst müssen Buchstaben, Buchstabenfolgen und Wörter gesehen, anschließend identifiziert und schließlich zu Bedeutungen weiterverarbeitet werden. „Unsere Wahrnehmung wird dabei durch die Anatomie des Auges sowie von neuronalen Verarbeitungsprozessen beeinflusst. Sie geben die Grenzen vor, in denen eine erfolgreiche Erkennung von Schriftzeichen stattfinden kann. Das Lesen ist ein komplexer Vorgang. Dabei beeinflussen schriftgestalterischen Parameter die Leserlichkeit einer Schrift“, sagt Cornelius.

So stehen grundlegende Gestaltungskriterien wie Strichstärke, Strichstärkenkontrast und gewählte Proportionen in unmittelbarer Abhängigkeit mit den Schwächen und Grenzen unserer Wahrnehmung. Schriftforscherin Cornelius erklärt: „Ich verwende für meine Schriftsippe (das ist eine Gruppe zusammengehöriger Schriften, die aus einem Grundkörper entwickelt wurden, jedoch unterschiedliche Klassifikationsmerkmale aufweisen, oder Schriftgroßfamilie) die Gestaltungsmethode des ‚Optical Scalings‘."

Hierbei werden für bestimmte Anwendungsgrößen spezifische Varianten erstellt. Dadurch bleibt die Schrift unabhängig von den verwendeten Punktgrößen leserlich. Für kleine Schriftgrade werden beispielsweise Proportionen verbreitert, Buchstabenabstände vergrößert und Haarlinien kräftiger gezeichnet. Denn aufgrund des begrenzten Auflösungsvermögens unseres Auges kostet es uns mehr Anstrengung, feine Linien zu erkennen, je kleiner diese abgebildet werden.“ (Abbildung 1).

Problematik der Leserlichkeitsforschung

Inwiefern sich derartige Aspekte der Schriftgestaltung auf die Leserlichkeit auswirken, untersucht die Leserlichkeitsforschung. Cornelius Analyse der bisherigen Untersuchungen zeigte, dass dieser Bereich der Designforschung vorwiegend von designfremden Disziplinen wie (Wahrnehmungs-) Psychologie, Ergonomie, Neurobiologie oder Physiologie untersucht wird. Die Ergebnisse der Leserlichkeitsforschung sind allerdings verzerrt, wenn gestalterische Gesichtspunkte nicht berücksichtigt werden. Cornelius möchte daher den interdisziplinären Wissensaustausch fördern und die Gestalter ermuntern, sich aktiv in die Forschung einzubringen. So sollen in Zukunft aussagekräftigere Forschungsergebnisse erzielt und die Leserlichkeit von Schriften verbessert werden.

Neue Wege der Leserlichkeitsforschung

Eine Vorstudie aus 2016 und 2017 von Cornelius und Björn Schumacher, der heute ebenfalls Doktorand an der Muthesius Kunsthochschule ist, stellte den Mehrwert heraus, der im engen Wissensaustausch zwischen Forschern und Designern entstehen kann. In einem Lesegeschwindigkeitstest untersuchten sie die Leserlichkeit ihrer selbst entwickelten Schriftentwürfe mit den Namen „Legilux“ und „Text Type“ sowie die etablierte Textschrift „Walbaum Standard BQ“. Die Studie berücksichtigte den Einfluss des „Optical Scalings“ auf die Leserlichkeit. Cornelius und Schumacher ließen die rund einhundert Probanden im Alter zwischen 14 und 31 Jahren die Testschriften in zwei unterschiedlichen Schriftgrößen lesen (Abbildung 2). Im Gegensatz zu herkömmlichen Leserlichkeitsstudien konnten beide so Fehlerquellen ausschließen und es zeigte sich ein erster positiver Effekt für die Gestaltungsmethode des „Optical Scalings“ auf die Leserlichkeit der Schrift.

Weitere Studien sind geplant

Um den Einfluss bestimmter Eigenschaften von Schriften, wie der Strichstärkenkontrast oder Serifen weiter zu untersuchen, planen die beiden Designforscher für 2019 eine umfangreiche Studie mit zirka 5000 Probanden. Diese sollen gedruckte wie auch digitale Texte lesen. (Abbildung 3) Cornelius verspricht sich davon neue praxisrelevante Hinweise, die den Lesealltag für unsere Gesellschaft erleichtern könnten. Ihre bisherigen Erkenntnisse bündelte Antonia M. Cornelius 2017 in ihrem Buch „Buchstaben im Kopf. Was Kreative über das Lesen wissen sollten, um Leselust zu gestalten“.
(Autoren: Antonia M. Cornelius/Katharina Jeorgakopulos/Britta Sowa)

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