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„Vielfältigkeit als Chance begreifen“

Am 31. August 2023 geht die langjährige Vizepräsidentin für Studium und Lehre sowie Gleichstellung, Frau Prof. Dr. Monika Bessenrodt-Weberpals, in den Ruhestand. Wir haben mit ihr im Interview gesprochen, was sie in ihrer über 16 Jahre währenden Amtszeit an der HAW Hamburg bewegt hat.

Porträt von Prof. Dr. Monika Bessenrodt-Weberpals

Am 31. August 2023 geht die langjährige Vizepräsidentin für Studium und Lehre sowie Gleichstellung, Frau Prof. Dr. Monika Bessenrodt-Weberpals, in den Ruhestand.

Prof. Dr. Monika Bessenrodt-Weberpals wurde 2004 an die HAW Hamburg als Professorin für Physik und Geschlechterforschung berufen. Von Haus aus Physikerin, lehrte sie seitdem am Department Medientechnik der Fakultät Design, Medien, Information. 2007 wurde sie hauptamtlich als Vizepräsidentin für Studium und Lehre sowie Gleichstellung gewählt. Unter ihrer langjährigen Führung wurden an der HAW Hamburg wesentliche Themen, wie die Qualität von Studium und Lehre, Bildungsgerechtigkeit, Gleichstellung und Diversity, weiterentwickelt und in der Hochschule institutionell verankert. Der damit einhergehende Kulturwandel zu einer offenen wie geschlechtergerechten Hochschule ist für viele Mitglieder der HAW Hamburg heute zu einer Selbstverständlichkeit geworden. In diesem Sommer verabschiedet sich die leidenschaftliche Befürworterin von Frauenkarrieren in der Wissenschaft und von Bildungspionier*innen, die als Erste in ihren Familien studieren, in den Ruhestand. Wir haben mit Prof. Dr. Bessenrodt-Weberpals über ihre mehr als 16-jährige Amtszeit und die Zukunftsperspektiven ihrer vielen Förderungs- und Interessensgebiete gesprochen.

Ich habe immer eine große Verantwortungsbereitschaft und konstruktive Zusammenarbeit in der HAW Hamburg wahrgenommen, die uns gemeinsam gute, trag- und kompromissfähige Lösungen für die Hochschulgemeinschaft ermöglichte.

Prof. Dr. Monika Bessenrodt-Weberpals, scheidende Vizepräsidentin für Studium und Lehre sowie Gleichstellung

Liebe Frau Prof. Bessenrodt-Weberpals, Sie kamen vor mehr als 16 Jahren in das Amt der Vizepräsidentin für Studium und Lehre sowie Gleichstellung – mit welcher Motivation sind Sie gestartet?
Zunächst einmal möchte ich für das Vertrauen und die große Kooperations- und Innovationsbereitschaft aller Hochschulangehörigen danken, die mir in dieser langen Amtszeit als Vizepräsidentin entgegengebracht wurden. Mich hat immer wieder motiviert, dass wir in der HAW Hamburg gemeinsam große Themen bewegen und voranbringen können. Teilweise konnten wir diese Themen selbst akzentuieren, wie etwa in den Bereichen Qualitätsentwicklung von „Studium und Lehre“ oder „Gleichstellung und Diversity“. Das hat uns zum Beispiel bei der Gründung des Career Service oder der Neuaufstellung des Studierendenzentrums 2016 sehr geholfen. Teilweise wurde unser Fokus aber auch von äußeren Rahmenbedingungen gelenkt, wenn wir beispielsweise an die letzten Jahre mit der COVID19-Pandemie und ihren Auswirkungen auf Studium und Lehre oder an den Cyberangriff Ende 2022 mit seinen Auswirkungen denken.

Ich habe immer eine große Verantwortungsbereitschaft und konstruktive Zusammenarbeit in der HAW Hamburg wahrgenommen, die uns gemeinsam gute, trag- und kompromissfähige Lösungen für die Hochschulgemeinschaft ermöglichte.

Im Mittelpunkt Ihrer Amtszeit stand die Förderung von Studierenden, die als erste aus ihren Familien studiert haben, und von weiblichen Karrieren in der Wissenschaft. Konnte mit Ihrem Engagement die Sichtbarkeit dieser Gruppen an der HAW Hamburg nachhaltig erhöht werden?
Mit einer Vielzahl von drittmittelgeförderten Projekten konnten wir in den letzten beiden Jahrzehnten zielgerichtet an der Umsetzung dieser hochschulstrategischen Ziele arbeiten. Über das Professorinnenprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wurden beispielsweise bislang neun Vorgriffs-Professuren für Frauen gefördert. Im begleitenden Projekt „Gate Opening intersektional“ können Bachelor- und Master-Studentinnen der Hochschule im Rahmen hochschulöffentlicher Vorträge, Workshops und eines begleitenden Mentoring-Angebots mehr über wissenschaftliche Profile und Berufswege erfahren. Mithilfe der Kooperation mit den Projekten Pro Exzellenzia beziehungsweise Pro Exzellenzia Plus konnten 15 Stipendiatinnen ihre kooperativ erworbene Promotion an der HAW Hamburg abschließen, von denen zwei inzwischen sogar Professorinnen an unserer Fakultät Technik und Informatik sind.

Insgesamt steigerte die HAW Hamburg so ihren Professorinnenanteil von 24 Prozent im Jahr 2010 auf 31 Prozent im Jahr 2020 und liegt damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 24 Prozent im Jahr 2019 bei Hochschulen für Angewandte Wissenschaften.

Zusätzlich zur Förderung von Frauen wollte ich die Chancengerechtigkeit für Studierende unserer Hochschule verbessern. Die HAW Hamburg versteht sich als Ort, der Bildungsaufstieg fördert. Das gilt insbesondere für Studierende, die als Erste in ihren Familien studieren und denen die HAW Hamburg ein erfolgreiches Hochschulstudium ermöglichen möchte. Wir arbeiten hierbei seit vielen Jahren eng mit der Initiative „Arbeiterkind“ zusammen, dessen Hamburger Büro ich bereits 2011 an die HAW Hamburg geholt habe. Seit 2015 konnten wir außerdem dank des kompetenten Einsatzes des Teams der „Arbeitsstelle Migration“ die Studienbedingungen für Geflüchtete immer weiter verbessern. 

Die HAW Hamburg steht für eine Hochschulbildung von hoher wissenschaftlicher Qualität in anwendungsorientierter Lehre und Forschung. Im Vordergrund unserer Bestrebungen stand immer eine nachhaltige Weiterentwicklung von Studium und Lehre entlang der Bedarfe von Studierenden, von Lehrenden und vom Arbeitsmarkt.

Prof. Monika Bessenrodt-Weberpals

Zur Weiterentwicklung von Studium und Lehre haben Sie 2009 mit dem Projekt „Lehren lernen. Coaching der Lehrenden zur nachhaltigen Verbesserung der Lehre“ erfolgreich am Exzellenzwettbewerb Lehre teilgenommen und 2011 das Drittmittelprojekt „Lehre lotsen. Dialogorientierte Qualitätsentwicklung für Lehre und Studium“ aus dem Qualitätspakt Lehre eingeworben, das bis Ende 2020 lief. 2021 schloss sich das Projekt „KOMWEID - Kompetenzen weiterentwickeln im digitalen Wandel“ daran an. Insgesamt haben Sie so über 16 Millionen Euro eingeworben. Dazu haben Sie die Arbeitsstelle für Studium und Didaktik (ASD) neu aufgestellt. Welche Ziele verfolgen diese Projekte zusammen mit der ASD?
Die HAW Hamburg steht für eine Hochschulbildung von hoher wissenschaftlicher Qualität in anwendungsorientierter Lehre und Forschung. Im Vordergrund unserer Bestrebungen stand immer eine nachhaltige Weiterentwicklung von Studium und Lehre entlang der Bedarfe von Studierenden, von Lehrenden und vom Arbeitsmarkt. Dabei haben wir uns an den zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen, insbesondere den UN-Nachhaltigkeitszielen, orientiert und es auch in unserem Leitbild zu „Bildung, Studium, Lehre“ formuliert.

Ein besonderes Markenzeichen der HAW Hamburg ist das Coaching, das von der ASD im Laufe der Jahre immer weiterentwickelt wurde. Erfahrene Coaches bieten im Auftrag der ASD Einzel- und Gruppencoachings für neuberufene Professor*innen und Gruppencoachings sowie Kurzzeit-Einzelcoachings für alle Lehrenden an. Dafür wurden auch eigens Lehrende der HAW Hamburg zu internen Lehr-Lern-Coachs qualifiziert, ein Alleinstellungsmerkmal unserer Hochschule und Zeichen unserer lernenden Organisation.

Im Rahmen des Projektes „Lehre lotsen“ ist es uns darüber hinaus gelungen, das Konzept des kompetenzorientierten Lehrens und Prüfens, kurz KOM-Konzept, in unseren Studiengängen zu implementieren und mit der Qualitätsentwicklung systematisch zu verschränken. Dazu hat auch die Betriebseinheit „Evaluation, Qualitätsmanagement, Akkreditierung“ mit ihren Fakultäts-Qualitätsmanager*innen maßgeblich beigetragen. Daraus folgte die erfolgreiche Systemakkreditierung - ohne Auflagen -, die uns seit Mai 2018 ermöglicht, die Qualität und Weiterentwicklung unserer Studiengänge mit Unterstützung externer Expert*innen selbst zu sichern – ein wichtiger Meilenstein für die HAW Hamburg.

Mit dem KOMWEID-Projekt und einem agilen Mindset wollen wir zusätzlich die besonderen Chancen der Digitalisierung nutzen: Vernetzt und kollaborativ, eigenverantwortlich und offen denken und handeln. Voneinander lernen und eine kontinuierliche Wirkungsreflexion durchdringen diesen begonnenen Kulturwandel.

Mit Ihrer Initiative hat die HAW Hamburg das Zertifikat Vielfalt gestalten im Rahmen des Diversity Audits des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft erhalten, das aktuell erneuert werden soll. Kann man auch hier von einem Kulturwandel als Prozess der Veränderung sprechen?
Die HAW Hamburg hatte sich bereits in ihrem Struktur- und Entwicklungsplan von 2016 bis 2020 zum Ziel gesetzt, ihre Hochschulkultur und Strukturentwicklung „vielfältig, international, geschlechtergerecht, familienfreundlich, inklusiv und diskriminierungsarm“ auszurichten – ein Kulturwandel begann. Dazu tragen seitdem unter anderem die strukturelle Verankerung und Vernetzung des Familienbüros, eines Beauftragten für Studierende mit Behinderung und chronischen Krankheiten sowie der Aufbau der Arbeitsstelle Migration für eine gezielte migrationsbedingte Hochschulentwicklung bei.

Zudem wurde die Antidiskriminierungsrichtlinie entwickelt und 2021 verabschiedet – ein Meilenstein in der Entwicklung der Hochschule als Ort gelebter Vielfalt. Um diesem Anspruch noch besser gerecht zu werden und eine umfassende Diversity-Strategie zu entwickeln, nimmt die HAW Hamburg jetzt am Diversity Re-Audit teil.

Unsere ideale Hochschule ist ein Ort, an dem sich Menschen mit ihren unterschiedlichen Bildungsbiographien und Perspektiven auch in Zukunft neugierig und offen begegnen und an dem wir unsere Vielfältigkeit als Chance begreifen.

Prof. Dr. Monika Bessenrodt-Weberpals

2020 kam die Corona-Pandemie, die den Lehrenden „quasi über Nacht“ hohe digitale Kompetenzen abverlangte. Wie hat diese Zeit die Lehre verändert?
In der Tat waren Studierende und Lehrende im März 2020 von einem Freitag auf den folgenden Montag aufgefordert, ihre etablierten Lehr- und Lernformate in einen virtuellen Raum zu verlegen. Das war für uns alle äußerst herausfordernd, hat uns zugleich aber auch die Chance zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der wirksamen Nutzung digitaler Tools und Formate in der Lehre gebracht. Vieles aus dieser Zeit hat sich bewährt und blieb auch über die Pandemie hinaus im Einsatz, beispielsweise offene Angebote der Hamburg Open Online University und Blended-Learning-Elemente. Was allerdings unersetzlich war, ist der lebendige wissenschaftliche Diskurs an unserer Hochschule, der von einer räumlichen und sozialen unmittelbaren Interaktion lebt, wie sie in unserer Lernraumstrategie zum Ausdruck kommt. Die HAW Hamburg ist aus Überzeugung heraus eine Präsenzhochschule – das hat sich in der Pandemie-Zeit unmittelbar gezeigt.

Wenn Sie sich eine ideale Hochschule wünschen, wie würde diese aussehen? Wie soll aus Ihrer Sicht Bildungsgerechtigkeit und Gleichstellung zukünftig gestaltet werden?
Die ideale Hochschule wäre aus meiner Sicht zunächst einmal personell, finanziell, räumlich und infrastrukturell so ausgestattet, dass sie über den Basisbetrieb hinaus den Anforderungen eines modernen Hochschulbetriebs gerecht werden kann – um gemeinsam Lehre und Forschung zukunftsgerichtet zu entwickeln. Damit wir diese Ressourcen gut nutzen können, brauchen wir auch ideale Strukturen, in denen wir als Angehörige dieser Hochschule gut und selbstwirksam zusammenarbeiten können: von den Wissenschaftler*innen und die sie unterstützenden technischen und Verwaltungsmitarbeiter*innen bis zu den Studieninteressierten, Studierenden und Absolvent*innen. Erst so kann sich eine Kultur an der idealen Hochschule etablieren, die, wie bei einer lernenden Organisation, immer wieder Innovationen ermöglicht und zugleich Entwicklungserfolge absichert. 

In dieser idealen Hochschule können wir dann auch erweiterte Aufgaben und große Herausforderungen angehen. Ich denke da beispielsweise an substantielle Beiträge zu gesellschaftlichen Themen wie die UN-Nachhaltigkeitsziele, einschließlich Geschlechtergerechtigkeit, Ziel Nummer 5, oder Klimaschutz, Ziel Nummer 13, mit erhöhter Sichtbarkeit und Wirksamkeit. Oder auch in kleinerem Maßstab, an eine zunehmende Diversität unserer Hochschulgemeinschaft in einer pluralen Gesellschaft oder an eine stärkere Digitalisierung der Verwaltungsprozesse, aber auch an Entwicklungspotentiale wie beispielsweise die Akademisierung von bestimmten Bereichen im Gesundheitswesen.

Insgesamt wünsche ich mir an der idealen HAW Hamburg schließlich eine demokratische und friedliche Kultur, in der wissenschaftliche Kritik, ethische Reflexion sowie der gesellschaftspolitische Bezug die akademische Lehre und Forschung durchdringen. Unsere ideale Hochschule ist ein Ort, an dem sich Menschen mit ihren unterschiedlichen Bildungsbiographien und Perspektiven auch in Zukunft neugierig und offen begegnen und an dem wir unsere Vielfältigkeit als Chance begreifen.

 

Interview: Katharina Jeorgakopulos

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