Der dauernde Blick auf ein Smartphone unterbricht diese Interaktion. Inwiefern wirkt sich das auf den Säugling aus?
Nora Zimmer: Durch die Nutzung des Smartphones kann es passieren, dass die Kontaktversuche des Säuglings nicht bemerkt werden. Nehmen wir an, er möchte spielen oder braucht Trost. Durch die geteilte Aufmerksamkeit kann darauf nicht oder nur unverhältnismäßig oder zu spät reagiert werden. Der Säugling wird enttäuscht, ist irritiert, wütend, ängstlich oder traurig. Auch die emotionale Verbundenheit im Austausch mit Erwachsenen leidet, wenn gemeinsame Momente durch die Nutzung des Smartphones gestört werden. Dieser Stress kann zu weniger Kontaktaufnahmen des Säuglings führen: Die Welt ist nicht vorhersehbar, ich kann nichts daran ändern. Dann lieber nichts tun und keinen Stress empfinden. Diese Säuglinge lassen sich weniger beruhigen. Ihr Gehirn reagiert empfindlich auf Stress. Infolgedessen können Neuronen und neuronale Verknüpfungen nicht ausgebildet oder gekappt werden. Das Angstzentrum im Gehirn kann regelmäßig aktiviert sein.
Der Blickkontakt erhält mit circa acht Monaten eine weitere Bedeutung. Geht das Kind auf Erkundungstour, versichert es sich über Blickkontakt, ob es sich zum Beispiel weiter entfernen darf oder ein Hund gefährlich ist. Auch hier geht man davon aus: Ein ausbleibender Blickkontakt geht mit Stress einher. Somit wirkt das Erkunden der Umgebung mitunter anstrengend und bedrohlich. Doch Entdecken ist Entwicklung und Lernen. Tatsächlich kann die Unfallgefahr durch die ständige Nutzung des Smartphones zunehmen, zum Beispiel auf dem Spielplatz.
Gilt dies für nur eine längere Nutzungszeit des Smartphones, wo ist die Grenze?
Nora Zimmer: Ein kurzer Blick sollte vertretbar sein. Doch oft fragt man sich: Wo ist die Zeit geblieben? Forschungsergebnisse belegen, dass keine andere Aktivität mit so viel geistiger Abwesenheit einhergeht und dass die Internetnutzung ein größeres klinisches Suchtpotential aufweist als exzessives Fernsehen. Als Faustregel für die Smartphone-Nutzung gilt: Je jünger das Kind ist, desto schädlicher. Je länger die Nutzungsdauer, umso schädlicher. Auch in der Paarbeziehung kann sich die Beschäftigung mit einem Smartphone während der Interaktion negativ auf das psychische Wohlbefinden, die empfundene Intimität und die Beziehungszufriedenheit bei Betroffenen auswirken. Insgesamt gilt: Für eine gesunde Kindesentwicklung und für unser Wohlbefinden sowie das unserer Liebsten sollten wir sparsam mit dem Handy umgehen.
Fußnote: Ablenkungen und Unterbrechungen durch digitale Geräte, die in gemeinsam verbrachte Zeit eindringen, werden allgemein als Technoferenzen bezeichnet. Störungen, die durch die Nutzung eines Smartphones während der Interaktion auftreten, heißen Phubbing.
Interview: Dr. Katharina Jeorgakopulos