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Zukunftsforum Nachhaltigkeit 2025

Wie geht nachhaltige Ernährung?

Bio-Äpfel aus Chile? Oder lieber regionale Gurken in Plastikfolie? Und wie nachhaltig ist eigentlich unser Mensa-Essen? Dr. Ernestine Tecklenburg vom Department Ökotrophologie forscht seit Jahren zum Thema nachhaltige Ernährung. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was unter "fairen Ernährungsumgebungen" zu verstehen ist, warum wir uns im Supermarkt manchmal überfordert fühlen und wie nachhaltige Ernährung überhaupt definiert wird. Außerdem zeigt sie auf, in welchen Feldern die deutsche Politik noch Nachholbedarf hat in Sachen nachhaltiger Ernährung.

Dr. Tecklenburg ist auch zu Gast auf dem Zukunftsforum Nachhaltigkeit am 24. April 2025. Am Ende des Textes finden Sie dazu mehr Informationen.

Um die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen, müssen viele Sektoren einen Beitrag leisten. Auch der Landwirtschafts- und Ernährungssektor.

Frau Dr. Tecklenburg, Sie beschäftigen sich seit Jahren wissenschaftlich mit dem Thema „nachhaltige Ernährung“. Wann ist unsere Ernährung nachhaltig?

Wenn wir der Definition der Federal Organisation for Agriculture (FAO) folgen, besteht eine nachhaltige Ernährung aus Ernährungsmustern, die unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden fördern und geringe Auswirkungen auf die Umwelt haben. Gleichzeitig soll sie verfügbar, bezahlbar, sicher und fair sein sowie kulturell akzeptiert werden. An eine nachhaltige Ernährung werden also vielfältige Anforderungen gestellt.

Es geht zunächst darum, die Lebensmittel so zu erzeugen, herzustellen und zu vertreiben, dass die Umwelt möglichst wenig belastet wird und alle die Möglichkeit haben, einwandfreie Lebensmittel zu kaufen und aus verschiedenen Lebensmitteln auszuwählen. Wenn wir unsere Ernährungssysteme transformieren und weniger tierische Produkte essen, schaffen wir Voraussetzungen dafür, dass auch künftige Generationen ihre Bedürfnisse befriedigen können.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat diese Anforderungen in ihren Empfehlungen berücksichtigt: Wir sollten viel Gemüse inklusive Hülsenfrüchte, Obst, Nüsse und Vollkornprodukte essen, um uns nachhaltig zu ernähren. Diese können wir mit tierischen Produkten wie Milch, Käse, Fleisch und Wurstwaren ergänzen. In verarbeiteten Lebensmitteln wie Wurst, Gebäck, Süßwaren oder Fast Food steckt oft viel Salz, Zucker und Fett, daher sollten wir sie besser stehen lassen.

Um Verbrauchern zu helfen, nachhaltig zu konsumieren, muss zum einen das Verständnis gefördert werden, was eine nachhaltige Ernährung beinhaltet. Zum anderen brauchen wir Möglichkeiten nachhaltige Produkte auszuwählen sowie uns zu informieren, um uns für ein nachhaltigeres Produkt – beispielsweise ein saisonales, regionales oder Bio-Lebensmittel – zu entscheiden.“

Dr. Ernestine Tecklenburg

Wenn ich im Supermarkt stehe, fühle ich mich oft überfordert: Bio, Fairtrade, Ampel, hohe Preise, Herkunftsland, Verpackung – so viele Faktoren fließen in meine persönliche Kaufentscheidung ein. Wie können wir als Verbraucher*innen besser geleitet werden, hin zu nachhaltigerem Konsum?

Unser Ernährungsverhalten wird durch zwei Systeme gesteuert: einem reflexiven und einem impulsiven System. Mit dem reflexiven System planen, evaluieren und entscheiden wir, während wir mit dem impulsiven System relativ automatisch auf Reize in unserer Umwelt reagieren. Der Supermarkt ist ein Ort, an dem uns sehr viele verschiedene Reize begegnen. Wir sehen und riechen verschiedene Lebensmittel, das spricht unser impulsives System an. Zugleich finden wir visuelle Informationen in Form von Labeln oder Preisen, was unser reflexives System anspricht. Da beide Systeme gleichzeitig agieren, ist es schwer für uns, im Supermarkt immer unseren eigenen Zielen, Einstellungen und Standards zu folgen. Wir kennen es alle, dass uns beispielsweise jetzt vor Ostern kurz nach dem Obst und Gemüse oder vor der Kasse als Störer große Aufsteller mit Schokoladenosterhasen begegnen. Das stellt uns alle vor die Wahl, noch kurz einen Schokohasen mitzunehmen, auch wenn wir gar nicht vor hatten, einen zu kaufen. Es gibt daher auf Ihre Frage, wie wir Verbraucher*innen besser geleitet werden können, keine einfache Antwort. Denn gleichzeitig haben wir heute die Freiheit, die eigene Ernährung nach Belieben zu gestalten. Ebenso sind Lebensmittel gemessen am Einkommen trotz Inflation immer noch sehr günstig. Das heißt: Unsere Ernährung ist nicht, wie noch vor ein paar Jahrzehnten stark durch Verfügbarkeit und soziale Normen geregelt.

Der Nutri-Score hilft uns, schnell die Produkte innerhalb einer Gruppe zu vergleichen, beispielweise unterschiedliche Tiefkühl-Pizzen. Wer aber Bluthochdruck hat, muss genauer hinschauen und die Nährwertkennzeichnung lesen. Ernährungswissen hilft den Betroffenen dann, die richtige Entscheidung zu treffen. Um Verbraucher*innen zu helfen, nachhaltig zu konsumieren, muss das Verständnis gefördert werden, was eine nachhaltige Ernährung beinhaltet. Wir brauchen Möglichkeiten nachhaltige Produkte auszuwählen sowie uns zu informieren, um uns für ein nachhaltigeres Produkt – beispielsweise ein saisonales, regionales oder Bio-Lebensmittel – zu entscheiden.

 

Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich in Sachen nachhaltige Ernährung und wo sehen Sie noch Baustellen und Handlungsbedarf?

Deutschland hat sich als Teil der Europäischen Union auf die Nachhaltigkeitsstrategie der Vereinten Nationen verständigt. In dieser wurden 17 Ziele beschlossen: die sogenannten Sustainable Development Goals, kurz SDGs. Den Zielen wurden verschiedene Unterziele zugeordnet, die je nach Land und Region spezifiziert werden können. So gibt es sowohl eine europäische Nachhaltigkeitsstrategie, die den Mitgliedsstaaten wesentliche Maßnahmen zum Umbau ihres Ernährungssystems empfiehlt. Ein bekanntes Beispiel ist die Aufforderung, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden und Lebensmittelabfälle zu reduzieren.
Es gibt zudem die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, die 2002 entwickelt wurde und seitdem kontinuierlich weiterentwickelt wird. Die Berichte zum Stand der Umsetzung dieser Strategien in Deutschland liefern Anhaltspunkte dazu, wo Deutschland in Sachen nachhaltige Ernährung steht.

Schauen wir beispielsweise auf das SDG 3 „Gesundheit und Wohlergehen“: Für die meisten Indikatoren des Ziels ist eine positive Entwicklung zu verzeichnen. Allerdings sind bei der Adipositasquote und der vorzeitigen Sterblichkeit bei Frauen und Männern kaum oder keine Fortschritte zu sehen. Daran wird deutlich, dass wir bei der Prävention von Übergewicht und der Gestaltung von fairen Ernährungsumgebungen noch Herausforderungen haben.
Aber auch in Bezug auf das SDG 1 „Keine Armut“ haben wir Handlungsbedarf: 2023 waren in Deutschland 23,9 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, womit Deutschland lediglich im europäischen Mittelfeld liegt.

Daneben haben wir noch einige weitere Herausforderungen zu meistern: So ist beispielsweise bei den Zielen zum "Ökologischen Landbau", "Nitrat im Grundwasser" oder "Anteil der nachhaltig befischten Fischbestände in Nord- und Ostsee" damit zu rechnen, dass diese bis 2030 nicht erreicht werden.

 

Ernährung ist eine sehr individuelle Angelegenheit: Jede*r darf für sich selbst entscheiden, wann sie oder er etwas kaufen und essen möchte. Das klingt selbstbestimmt. Die Forschung widerspricht dem und bringt den Begriff „Ernährungsumgebung“ ins Spiel. Diese soll unsere Ernährung mehr beeinflussen als wir wahrhaben möchten.

Gehen wir gedanklich nochmal zurück zur Situation im Supermarkt. Sie hatten schon angesprochen, dass es je nachdem, was Sie kaufen wollen, schwierig ist, nachhaltige Alternativen zu erkennen. Oft haben Sie die Wahl zwischen sehr vielen verschiedenen Produkten. Aus der Forschung der Ernährungspsychologen wissen wir, dass es zu Unzufriedenheit führt, wenn zusätzlich die Auswahlaufgabe schwierig ist, also wenn Sie zum Beispiel noch nicht entschieden haben, was Sie zum Abendessen möchten.

Zusätzlich nutzt der Handel Erkenntnisse aus der Verhaltenspsychologie für sich und setzt uns bewusst Reizen aus, die unser impulsives System ansprechen. So sind im Handel günstige Marken oder auch Bioprodukte nicht immer auf Augenhöhe zu finden, sondern unten im Regal. Oder uns begleiten verschiedene Gerüche durch den Markt zum Beispiel der Geruch nach frischgebackenen Brötchen. Auch wird unser Weg durch Aktionsware wie Osterhasen gestört und unsere Aufmerksamkeit auf diese Produkte gelenkt. Ein Supermarkt ist so gestaltet, dass wir möglichst viel einkaufen und nicht so, dass wir zu den nachhaltigen Produkten zuerst greifen.

Wenn wir nun von fairen Ernährungsumgebungen sprechen, dann meinen wir in der Forschung eine Umgebung, die auf unsere menschlichen Wahrnehmungs- und Entscheidungsmöglichkeiten sowie Verhaltensweisen abgestimmt ist und uns damit eine nachhaltigere Ernährung im Alltag einfacher ermöglicht. Sprich: die nachhaltige Wahl zu einer einfachen Wahl macht.

Es sollte, egal, wo Sie sind, ob in einer Kita, einer Schulmensa, in der Mensa des Studierendenwerks, dem Betriebsrestaurant, dem Krankenhaus, der Senioreneinrichtung, leckere saisonale und regionale Gerichte mit einer Portion Gemüse geben und Gerichte, die den Ansprüchen der Gäste dort entsprechen.

Dr. Ernestine Tecklenburg

Wo können politische Entscheider*innen ansetzen, um einen Wandel einzuleiten hinsichtlich einer nachhaltigeren Ernährung unserer Gesellschaft?

Politischen Entscheider*innen empfehle ich vom Gutachten „Politik für eine nachhaltigere Ernährung- Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten“ des wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (WBAE) mindestens die Zusammenfassung zu lesen. Es zeigt vielfältige Handlungsmöglichkeiten auf, die unter anderem auch schon in der Ernährungsstrategie der Bundesregierung eingeflossen sind. Aber nicht alle Empfehlungen haben dort eine Berücksichtigung gefunden. Die neun Empfehlungen des WBAE-Gutachtens sind die folgenden:

  • Beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung schrittweise einführen. Die DGE-Qualitätsstandards verbindlich einführen und Ernährungsumgebungen fair gestalten.
  • Reduktion des Konsums tierischer Produkte initiieren, Mehrwertsteuer auf tierische Produkte erhöhen und Transformationsstrategien für die Landwirtschaft entwickeln.
  • Konsum von Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten subventionieren und eine Verbrauchersteuer auf zuckerhaltige Getränke erheben.
  • Kosten einer gesundheitsfördernden Ernährung in den Grundsicherungsleistungen berücksichtigen und Monitoring zur Ernährungsarmut einführen.
  • Nutri-Score weiterentwickeln, Klimalabel, Fairnesslabel, Tierwohllabel voranbringen, an Kinder gerichtete Werbung einschränken und sogenanntes Social Influencing stärker regulieren.
  • Kleinere Portionen zum Standard machen und Konsum zuckerhaltiger Getränke reduzieren. Reformulierung weiterführen – also Zucker, Fett und Salz in Lebensmitteln reduzieren  –, Wasser als Getränk zum Standard machen und Abfälle reduzieren.
  • Seniorenverpflegung und Verpflegung in Kliniken in den Fokus nehmen. Ernährungsmonitoring für ältere Menschen auflegen.
  • Förderung des ökologischen Landbaus zielgerichtet weiterentwickeln., ebenso nachhaltigere Landbewirtschaftungssysteme.
  • Eine integrierte Politik für eine nachhaltigere Ernährung entwickeln.

 

Sie selbst forschen und lehren zum Thema „Gemeinschaftsverpflegung“, also beispielsweise Kita- oder Schulessen. Was muss sich dort ändern in Sachen Nachhaltigkeit?

Leckere, nachhaltige und gesunde Speisen gibt es schon an einigen Orten in der Gemeinschaftsverpflegung. Diese sollten aber keine Leuchttürme bleiben, sondern es sollte egal, wo Sie sind, ob in einer Kita, einer Schulmensa, in der Mensa des Studierendenwerks, dem Betriebsrestaurant, dem Krankenhaus, der Senioreneinrichtung leckere saisonale und regionale Gerichte mit einer Portion Gemüse geben und Gerichte, die den Ansprüchen der Gäste dort entsprechen. Setzt die Einrichtung den DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Kitas, Schulen, Betrieben, Behörden und Hochschulen, Kliniken oder mit Essen auf Rädern und in Senioreneinrichtungen um, dann hat beispielsweise der nachhaltigkeitsorientierte Gast eine einfache Wahl.

Zusätzlich muss darüber gesprochen werden, wie ein sozialakzeptabler Preis beispielsweise in der Kita- und Schulverpflegung aussieht und wie dieser finanziert werden kann. Ist eine beteiligungskostenfreie Verpflegung nicht möglich, so sollte der Preis möglichst so gestaltet sein, dass alle an der Kita- oder Schulverpflegung teilhaben können.

Die Fragen stellte Tiziana Hiller

Dr. Ernestine Tecklenburg wird auf dem Zukunftsforum Nachhaltigkeit, das am 24. April 2025 an der HAW Hamburg stattfindet, einen Vortrag halten. Er trägt den Titel: „Gemeinschaftsverpflegung als faire Ernährungsumgebung gestalten".
Das Zukunftsforum, das bereits zum zweiten Mal stattfindet, befasst sich in diesem Jahr mit den Themen Ernährung, Landnutzung und Artenschwund. Spannende Referenten aus Wirtschaft, Politik, NGOs und Wissenschaft diskutieren mit Studierenden und Besucher*innen darüber, wie mehr nachhaltige Aspekte in die Lehre integriert werden können.
Die Teilnahme ist kostenlos, die Plätze sind allerdings begrenzt.

Anmeldung und mehr Informationen

Kontakt

Dr. Ernestine Tecklenburg

Ulmenliet 20
21033 Hamburg
Raum N5.28

ernestine.tecklenburg (at) haw-hamburg (dot) de

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