077-Genauigkeit
Die Episode
Transkript
Hallo, es ist wieder Zeit für etwas Fertigungstechnik...
Heute sprechen wir über ein Thema, das unsere moderne Welt im wahrsten Sinne des Wortes zusammenhält - die Fertigungsgenauigkeit.
Wie du sicher inzwischen weißt, gibt es verschiedene Verfahren zur Herstellung von Bauteilen.
Wir haben die Gruppe der Urformverfahren, wie Sandguss, Druckguss und alle additiven Verfahren, die auch unter dem Begriff „3D-Druck“ bekannt sind.
Dann haben wir die umformenden Verfahren wie Schmieden, Walzen, Tiefziehen und Biegen.
Eine weitere wichtige Gruppe sind die trennenden Verfahren wie Scherschneiden, Feinschneiden und alle spanenden Verfahren. Zu den spanenden Verfahren gehören das Drehen, Fräsen und Schleifen.
Generell lässt sich sagen, dass die ur- und umformenden Verfahren im Vergleich zu den spanenden Verfahren sehr energie- und materialeffizient sind, d.h. es wird relativ wenig Energie verbraucht und fast alles, was an Material in den Prozess eingebracht wird, kommt auch als Werkstück wieder heraus.
Aber warum sind dann spanende Verfahren so weit verbreitet? Ein wichtiger Grund: Genauigkeit.
Spanende Verfahren ermöglichen Maßgenauigkeiten bis in den Submikrometerbereich und Oberflächenrauheiten, die gut genug sind, um optische Bauteile wie Spiegel und Linsen herzustellen.
Aber warum brauchen wir in vielen Bereichen hohe Genauigkeiten und wie hat sich das im Laufe der Zeit entwickelt?
Eine kurze Antwort: Austauschbau!
Austauschbau bedeutet, dass identische Bauteile so gefertigt werden, dass sie ohne Nacharbeit austauschbar sind, unabhängig davon, wo auf der Welt sie hergestellt wurden. Das spart Kosten und erleichtert Montage, Wartung und Reparatur.
Grundvoraussetzung für die Austauschbarkeit ist die Fertigungsgenauigkeit.
Im 18. und 19. Jahrhundert wurden Maschinenbauteile oft noch individuell angepasst. Erst mit der Erfindung der Präzisions-Werkzeugmaschinen zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch englische Ingenieure wie Henry Maudslay und Joseph Whitworth wurde eine Standardisierung erreicht und damit die Massenfertigung überhaupt erst möglich.
Joseph Whitworth war es auch, der eine der ersten genormten Gewindesystem entwickelte, das bis heute im englischsprachigen Raum weit verbreitet ist und seinen Namen trägt: das Whitworth-Gewinde.
Heute ist es selbstverständlich, dass durch die Einhaltung enger Toleranzen Bauteile unabhängig von ihrer Herkunft oder Charge exakt in Maschinen oder Produkte passen.
Neben den Austauschbau kann die Genauigkeit auch für die Funktion des Bauteils relevant sein.
Bei Kolbenmaschinen wie Verbrennungsmotoren und Kompressoren ist beispielsweise der Spalt zwischen der Außenfläche des Kolbens und der Innenfläche des Zylinders wichtig für den Wirkungsgrad der Maschine.
James Watt war Ende des 18. Jahrhunderts sehr stolz darauf, dass die Kolben und Zylinder seiner Dampfmaschinen Abweichungen hatten die kleiner als die Dicke einer alten Schillingmünze waren. Etwa zwei Millimeter.
Das können wir heute ein bisschen besser. Moderne Verbrennungsmotoren haben Bauteile mit Toleranzen von wenigen hundertstel Millimetern oder noch weniger.
Genauigkeit ist auch wichtig bei Bauteilen, die für präzise und vibrationsarme Bewegungen verantwortlich sind. Beispiele: Zahnräder, Kugellager und Maschinenführungen.
Ein Bereich, in dem jedoch versucht wird, die Grenzen der Fertigungsgenauigkeit ständig zu erweitern, ist die Herstellung von Spiegeln für Lithographieanlagen.
Das sind die Maschinen, mit denen Computerchips hergestellt werden. Die Formabweichungen dieser Spiegel betragen oft nur wenige Nanometer. Die Rauheitsabweichungen liegen im Pikometerbereich.
Zur Erinnerung: Ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters und ein Pikometer der milliardste Teil eines Millimeters.
Ohne diese Entwicklungen im Bereich der Fertigungsgenauigkeit gäbe es keine Smartphones, keine Satelliten und keine modernen Flugzeuge.
Und was versteht man eigentlich unter dem Begriff „Präzision“? Im alltäglichen Sprachgebrauch werden „Präzision“ und „Genauigkeit“ oft synonym verwendet. In der Produktionstechnik, aber auch in vielen anderen Bereichen, ist Präzision nicht gleich Genauigkeit!
- Genauigkeit beschreibt, wie nahe ein Ergebnis am Sollwert liegt und
- Präzision beschreibt, wie wiederholbar das Ergebnis ist.
Ein Beispiel: Wenn du mit Pfeil und Bogen immer wieder den gleichen Punkt triffst, aber nicht die Mitte der Zielscheibe, dann bist du präzise, aber nicht genau. Wenn du aber die Mitte triffst, dann bist du auch genau.
In der Fertigungstechnik wäre die Mitte der Zielscheibe, z. B. die Mitte des Toleranzbereichs eines Maßes.
Bisher haben wir nur von der Fertigungsgenauigkeit gesprochen. Aber wie kann man nachweisen, dass eine geforderte Genauigkeit erreicht wurde? Hier kommt die Fertigungsmesstechnik ins Spiel. Es heißt: „Man kann nur so genau fertigen, wie man messen kann.“ Das ist ein Thema für eine nächste Folge.
Also, wenn du das nächste Mal auf dein Smartphone schaust oder in ein Flugzeug steigst - denk daran: Jedes dieser Wunderwerke ist nur dank einer unglaublichen Fertigungsgenauigkeit möglich. Bis zum nächsten Mal.
geschrieben von Mauricio de Campos Porath
eingesprochen von Mauricio de Campos Porath