Eine Karriere in erneuerbaren Energien

Priyanka Mascarenhas wollte mehr über erneuerbare Energien lernen und sah Deutschland als führend in diesen Technologien. Sie ließ eine erfolgreiche Karriere in Indien zurück, um ein Masterstudium in Hamburg zu absolvieren.

Es ist ein grauer, bewölkter Tag im Januar, an dem wir Priyanka Mascarenhas in Hamburg zum Interview treffen und die Sunbrellas auf der Dachterrasse des Hauptverwaltungsgebäudes auf dem Campus Berliner Tor produzieren nicht viel Energie. Aber sie bieten den perfekten Hintergrund für ein Foto der 29-jährigen Studentin aus dem indischen Pune, die im Oktober nach Deutschland gekommen ist, um den Masterstudiengang Renewable Energy Systems an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) zu absolvieren.

Der Weg zum Ingenieurwesen

Priyanka hat eine sehr warmherzige und offene Persönlichkeit und so dauert es nicht lange und wir unterhalten uns angeregt über ihren Ausbildungsweg und ihre Berufserfahrung, bevor sie nach Hamburg kam. Als Ingenieurin stellt sie in ihrer Familie eine Ausnahme dar, da weder ihre Eltern noch andere Verwandte in diesem Bereich arbeiten. Warum hat sie also diesen Weg gewählt? „Wenn Du in Indien gut in Mathematik oder Naturwissenschaften bist, dann hast du zwei Optionen – Medizin oder Ingenieurwesen. Ich bin in beidem gut, aber ich kann kein Blut sehen, da blieb mir nur der Ingenieurberuf“, meint sie lachend. Diese Entscheidung führte sie im Alter von gerade mal 17 Jahren an die Pune University, wo sie ein Bachelor-Studium in Elektrotechnik aufnahm. Das erste Jahr war nicht einfach und sie gesteht, dass sie das Studium anfangs nicht ernst genug nahm und das hohe Arbeitspensum unterschätzt hatte. Doch die Unterstützung von erfahrenen Studierenden und die Drohungen ihrer Mutter brachten sie wieder auf Kurs. „Meine Mutter erklärte mir, dass ich einfach verheiratet würde, wenn ich das erste Jahr nicht erfolgreich bestehen würde!“ sagt sie und lacht.

Ihre Mutter ist es auch, die über die Jahre hinweg ihr Vorbild war. Aufgewachsen in einem Dorf in Indien bildete sie sich selbst weiter, indem sie eine Schule in der Stadt besuchte und so die einzige ihrer fünf Geschwister war, die eine höhere Schulbildung erwarb. Als sie in den 1980er Jahren Priyankas Vater heiratete, hatte sie in derselben Firma die gleiche Position wie er inne. „Meine Mutter ist so stark. Ihr Leben ist sehr inspirierend.“

Ausbau der Fachkenntnisse als Berufsweg

Priyanka hat diese Inspiration genutzt, um ihren persönlichen Lebensweg zu gestalten. Nachdem sie 2009 ihren Bachelor-Abschluss als Klassenbeste gemacht hatte, wurde ihr eine Stelle als Junior-Dozentin angeboten, um Bachelor-Studenten an der Bharati Vidyapeet University zu unterrichten. Nach einem Jahr traf sie eine schwierige Entscheidung. „Ich hatte einen guten Job im öffentlichen Sektor und hätte eine akademische Laufbahn verfolgen und mit einer Festanstellung alt werden können, aber ich habe immer das Bedürfnis, neue Bereiche zu erkunden, also gab ich die Sicherheit auf und wechselte in die Industrie.“ Sie war zunächst 21 Monate lang als Junior-Ingenieurin für die Maharashtra State Power Generation Company tätig, für die sie an drei verschiedenen Standorten in Indien mit drei verschiedenen Energieformen (Wärme, Wasser und Gas) arbeitete. „Das war eine bedeutende Leistung für mich. Ich war von meiner Familie getrennt und die einzige Frau am Einsatzort", meint sie und fügt hinzu: „Aber die größte Herausforderung war, dass das Unternehmen in einem Dorf angesiedelt war. Da gab es nur dich und deinen Job.“ Sie erzählt, dass sie wie schon im College viel von ihren älteren Kollegen lernte und ihre Fachkenntnisse in Kraftwerkstechnik ausbauen konnte.

Ich wollte mehr über regenerative Energieformen lernen, und Deutschland ist in diesem Technologiebereich führend. Außerdem habe ich in Europa die Möglichkeit, mehr über unterschiedliche Kulturen zu erfahren.

Im Jahr 2012 führte sie ihr nächster Job zurück nach Pune, wo sie als Managerin für Oasis Engineers & Consultants im Bereich MEP-Design (Mechanik, Elektrik und Sanitärinstallationen (Plumbing)) tätig war. Sie arbeitete an Projekten in Dubai und Indien, bei denen sie ihre Fertigkeiten auf dem Gebiet des AutoCAD-Designs und der Effizienzsteigerung von MEP-Systemen sowohl für Wohnhäuser als auch für gewerbliche Gebäude vertiefte. Außerdem heiratete sie ihre Jugendliebe und Freund seit der 5. Klasse; ein Schritt, der für indische Frauen oft das Ende ihrer beruflichen Karriere bedeuten kann. „Mein Mann unterstützt mich sehr und steht hinter mir. Er ermutigt mich nicht nur in meiner beruflichen Laufbahn, sondern bestärkt mich auch in meiner Entscheidung, einen Master-Abschluss zu machen.“ Was gar keine einfache Entscheidung war, wie sich herausstellte, denn Priyanka war fest entschlossen, in Deutschland, dem „father of engineering“, wie sie es nennt, zu studieren. „Viele Inder wollen in den USA studieren. Das war aber genau einer der Gründe, warum ich nicht dorthin wollte. Zu viele Inder“, meint sie lachend. „Ich wollte mehr über regenerative Energieformen lernen, und Deutschland ist in diesem Technologiebereich führend. Außerdem habe ich in Europa die Möglichkeit, mehr über unterschiedliche Kulturen zu erfahren.“ Sie bewarb sich und bekam Angebote von mehreren deutschen Universitäten, entschied sich aber für ein Studium an der HAW Hamburg, weil der englische Master-Studiengang "Renewable Energy Systems" den besten Einblick in verschiedene alternative Arten von Energieanlagen und Kraftwerken bot.

Ein Master-Studium in Deutschland

Auf Grund von Problemen mit dem Visum kam sie erst fünf Wochen nach Semesterbeginn an, doch sie meint, sie sei schnell integriert worden. „Die Dozenten und anderen Studierenden haben mich sehr unterstützt, sie halfen mir mit den Kursen und sogar bei der Suche nach einer Unterkunft. Außerdem habe ich einen wunderbaren Buddy im Rahmen des weBuddy Programms der Universität. Sarah, die auch an der HAW Hamburg studiert, holte mich und meine 80 Kilo (!) Gepäck vom Flughafen ab und half mir mit den ganzen administrativen Dingen. Vor allem aber ist sie zu einer echten Freundin geworden, und wir treffen uns einmal pro Woche, um gemeinsam zu essen, einzukaufen oder uns einfach nur zu unterhalten." Ein weiterer Glückstreffer ist ihre Vermieterin, die sie mehr als herzlich aufgenommen hat. Sie kochen miteinander und gehen auf Konzerte, denn sie teilen die Liebe zur Musik. „Bevor ich nach Deutschland kam, ging ich davon aus, dass die Menschen kühl und zurückhaltend sein würden, aber zum Glück hat sich das als völlig falsch erwiesen.“

Ihr erstes Semester ist fast zu Ende und sie steckt mitten in den Prüfungen. Wie waren die Kurse also bisher? „Die Lehrveranstaltungen sind wirklich interessant, besonders weil sie so nah an den aktuellen Entwicklungen in der Industrie sind. Mein Lieblingsdozent ist Timon Kampschulte. Seine Vorlesungen beinhalten eine Fülle von praktischen Beispielen und man hat das Gefühl, genau zu wissen, was derzeit in der Solarindustrie passiert. Seine Berechnungen sind so klar; wir könnten jetzt schon ein Kraftwerk entwerfen", fügt sie lachend hinzu. Solarenergie und Photovoltaik sind ihre Lieblingsthemen, aber sie freut sich auch darauf, mehr über Windenergie und Biokraftstoffe zu erfahren.

Wir sind auch neugierig zu erfahren, wie sie in einem männlich dominierten Umfeld zurechtkommt, da der Anteil der männlichen Studierenden in den Ingenieurstudiengängen der HAW Hamburg viel höher als der der weiblichen ist und sie ihren Bachelor-Abschluss an einem College für ausschließlich weibliche Studierende gemacht hat. „Ich habe keinerlei Probleme. Ich bin seit jeher ein offener und geselliger Mensch und war schon immer eher ein Tomboy", erklärt sie lächelnd. "Während meiner Berufstätigkeit fand ich es wichtig, Beruf und Privatleben getrennt zu halten, aber an der Uni sind wir alle gleich.“

Wenn die Prüfungen vorbei sind, freut sie sich auf einen Besuch in Pune in den Ferien. Indien ist auch das Land, in dem sie sich letztendlich in der Zukunft sieht. „Indien hat das Ziel, 175 Gigawatt aus regenerativen Energien zu erzeugen, und bisher haben wir nur fünf Prozent erreicht. Ich möchte Indien helfen, sich ein Beispiel an Deutschland zu nehmen und dieses Ziel zu erreichen, indem ich mein Wissen als Frau der regenerativen Energien einbringe.“

 

Text & Foto: Ingrid Weatherall / Januar 2017