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Leise Flugzeugkabine

Christbaumkugeln für die Forschung

Hannah Hoppen promoviert an der HAW Hamburg über Möglichkeiten, Flugzeugkabinen leiser zu machen. Was das mit Weihnachtsdekoration zu tun hat, erklärt sie im Forschungsmagazin KNOW! der Fakultät Technik und Informatik.

Hannah Hoppen lehnt lächelnd auf einem Tisch mit Laptop und weiteren technischen Geräten. In den Händen hält sie eine rote und eine grüne Christbaumkugel und zeigt sie in die Kamera.

Hannah Hoppen zeigt die beiden Christbaumkugeln, mit denen sie erste Messungen zur Lärmdämmung machte.

Hannah Hoppen erinnert sich noch sehr genau: „Wir haben im Windkanal Versuche gemacht, und ich war total begeistert. Das kannte ich aus der Schule nicht, dass man Versuche gemacht hat und daraus Größen bestimmen und etwas berechnen konnte.“ Und dann war da noch eine zweite Leidenschaft. Dank der Initiative einer Lehrerin pflegte sie schon seit der Grundschule eine Brieffreundschaft mit einem Mädchen in Montivilliers, der französischen Partnerstadt ihrer Heimatstadt Nordhorn, und war auch in der elften Klasse in Frankreich.

 

Ich wollte Physik und Naturwissenschaften mit Französisch verbinden.

Hannah Hoppen promoviert an der HAW Hamburg

„Das wollte ich gern verbinden: Physik und Naturwissenschaften mit Französisch.“ Wo ginge das besser als bei Airbus, wo sie sich erfolgreich für ein Duales Studium in der Fachrichtung Flugzeugbau bewarb. „Mit Technik hatte ich in der Schule gar keinen Kontakt. Daher konnte ich mir darunter auch nichts vorstellen“, gesteht sie heute. Gepackt hat die Technik sie trotzdem. Schon bei ihrer Bachelorarbeit über einen Teststand für eine Flugzeug-Notstromversorgung auf Basis einer Brennstoffzelle stand für sie fest: Ich will promovieren. Bei Versuchen begegnete sie Prof. Dr. Wolfgang Gleine, der in einem anderen Labor einen Teststand für ein Kabinensystem aufbaute. Gleine beschäftigte sich damals gerade mit Möglichkeiten, das Abwassersystem von Flugzeugen leiser zu machen. „So bin ich zur Akustik gekommen“, erzählt Hannah Hoppen. Sie ließ sich bei Airbus freistellen, um ein Masterstudium als nächsten Schritt in Richtung Promotion anzuschließen.

An der HAW Hamburg findet sie, was sie im Beruf vermisst hat: die Möglichkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen. „Ich hatte für mich immer das Gefühl, dass man Ergebnisse liefern muss, bevor man eine Sache wirklich durchdrungen hat“, erzählt die 32-Jährige. Das läuft in der Forschung anders. Denn genau darum geht es ja: Zusammenhänge zu verstehen, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und damit neues Wissen und die Grundlage für neue Lösungen zu schaffen. Es braucht Hartnäckigkeit und Stehvermögen. Nicht Geistesblitze verändern die Welt, sondern das beharrliche Bohren der sprichwört­lichen dicken Bretter.

Video-Portrait über Hannah Hoppen von Hamburg Aviation

Bei Hannah Hoppen begann das Bohren, an dessen Ende ihre Promotion stehen soll, mit einer roten und einer grünen Christbaumkugel. Der Einsatz im Dienst der Wissenschaft hat auf ihrer Oberfläche seine Spuren hinterlassen. Weihnachtsbaumtauglich sind sie nicht mehr. Die Kugeln sollten der Doktorandin helfen, einen Weg zu finden, um die Kabine zukünftiger Flugzeuge besser gegen Triebwerkslärm zu isolieren.

Passagiere wollen leise reisen
Wer schon mal in einem Airbus A380 geflogen ist, dem wird aufgefallen sein, wie leise dieses Flugzeug innen ist. Ein niedriger Lärmpegel in der Kabine erhöht den Reisekomfort. Gerade Langstreckenflüge sind umso anstrengender, je lauter es im Flugzeug ist. Ab 60 Dezibel kann man nicht mehr richtig schlafen, aber selbst in einem A380 ist es je nach Sitzplatz in etwa so laut wie in einem Restaurant. Weil die Passagiere sich eine leise Kabine wünschen, legen Airlines bei der Auswahl ihrer Flugzeuge auch darauf Wert. Im Rahmen des Luftfahrt­for­schungs­­programms der Bundesregierung (LuFo) hatte die HAW Hamburg unter anderem den Auftrag gewonnen, für Flugzeuge wie den A320 Lösungen für eine verbesserte Schallisolation zu entwickeln. Drittmittelprojekte wie dieses ermöglichen es der HAW Hamburg, Doktorand*innen für ihre Promotionszeit, oder zumindest einen Teil davon, anzustellen.

Die nächste Generation treibstoffsparender Triebwerke wird zwar weniger Fluglärm verursachen, paradoxerweise aber in der Kabine stärker zu hören sein als die heutigen. Der Fan, der vordere Kranz der Triebwerksschaufeln, hat einen großen Anteil am Geräuschpegel in der Kabine. Weil er sich bei zukünftigen Triebwerken langsamer drehen wird als bei heutigen Motoren, macht er auch weniger Lärm. Aber als unvermeidliche Folge treten andere Geräusche stärker in den Vordergrund, denn das Spektrum des abgestrahlten Schalls verlagert sich hin zu Tönen tieferer Frequenzen. Gegen sie wirken die Matten aus Glaswolle zwischen Kabinenwand und Außenhaut des Flugzeugs, welche die Kabine gegen Kälte und Lärm abschirmen, aber nur schlecht.

Nichts wiegen, nicht brennen, kein Wasser aufnehmen und nichts kosten

Hannah Hoppen über die Anforderungen an eine zusätzliche Lärmdämmung in Flugzeugen

Wer feierfreudige Nachbarn hat, der kennt das Problem: Weil hohe Töne vom Mauerwerk geschluckt werden, dringt von der Partymusik vor allem das Wummern der Bässe in die eigene Wohnung. Um die tiefen Frequenzen zu dämmen, müsste man die Wände entweder schwerer oder dicker machen. Beide Optionen gibt es in einem Flugzeug nicht. Es muss also etwas Neues her. „Nichts wiegen, nicht brennen, kein Wasser aufnehmen und nichts kosten“, fasst Hannah Hoppen lachend die Anforderungen an eine zusätzliche Lärmdämmung in Flugzeug zusammen. Ein wenig schwerer durfte die neue Dämmung aber doch werden: 100 Gramm pro Quadratmeter, das Gewicht von Papier, also so gut wie nichts. Leicht zu montieren und wartungsarm soll sie außerdem sein.

Eine patente Lösung
Nachdem der Versuch, Glaswolle die notwendigen Fähigkeiten zu verleihen, am zu hohen Gewicht gescheitert war, kamen die Christbaumkugeln ins Spiel. Nimmt man die Kappe ab, mit der sie am Baum befestigt sind, werden sie zu sogenannten Helmholz-Resonatoren. Je nach Länge des Halses und der Größe der Kugel entsteht bei einer Frequenz ein schwingendes System aus der Luftmasse im Hals und der Luft in der Kugel, die wie eine Feder wirkt. Dabei wird besonders viel Energie durch Reibung in Wärme umgewandelt. Messungen im hochmodernen Akustiklabor der HAW Hamburg bestätigten, dass die Idee im Prinzip funktioniert. Über Tischtennisbälle und Kugeln aus glasfaserverstärktem Kunststoff mit mehreren Hälsen arbeitete die Wissenschaftlerin am Ende bei einer Lösung mit, auf die sie, ihr ehemaliger Kollege Felix Langfeldt und Professor Gleine, Leiter des FTZ Technische Akustik, inzwischen ein Patent erhalten haben.

Diese besteht aus kleinen, hohlen Quadern aus einem besonders leichten, aber ausreichend harten Schaumstoff mit geschlossenen Poren. In die Oberfläche ist ein Schlitz in Form eines U eingefräst. Dieser wirkt wie ein Helmholz-Resonator. Zugleich wird auch die schmale Zunge des U von dem Lärm zum Schwingen gebracht und schluckt ebenfalls einen Teil seiner Energie. Mit Messungen an einem mehr als ein Quadratmeter großen Modell mit 252 dieser Elemente konnte Hannah Hoppen zeigen, dass dieser neuartige Schallschutz tatsächlich dazu beiträgt, auch den Teil des Lärms zu reduzieren, den die Glaswolle durchlässt.

Man braucht den Drang, etwas herausfinden zu wollen, aber auch die Gelassenheit, zu wissen, dass man zum großen Ganzen nur ein Puzzlestück beiträgt

Hannah Hoppen

Ob er irgendwann tatsächlich in einem Flugzeug eingebaut wird, muss sich zeigen. Der Weg vom Hochschullabor zum einsatzreifen Produkt ist lang. Dass man das Ergebnis ihrer Arbeit nicht sehen wird und allenfalls geübte Ohren einen Unterschied wahrnehmen werden, ist für die junge Wissenschaftlerin kein Problem: „Man braucht den Drang, etwas herausfinden zu wollen, aber auch die Gelassenheit, zu wissen, dass man zum großen Ganzen nur ein Puzzlestück beiträgt.“ Zurzeit befindet sie sich noch in Elternzeit, denn Anfang des Jahres ist sie Mutter geworden. Da kommt man nicht zu viel. Die Arbeit an ihrer Promotion pausiert. Sich auf komplexe Themen einzulassen, ist kaum drin, auch wenn ihr Mann derzeit im Homeoffice arbeitet, den Arbeitsweg zeitlich spart, und sich dadurch viel um den gemeinsamen Sohn kümmert.

Umwege sind auch Wege
Zwei Jahre rechnet sie noch, bis sie ihre Promotion in der Tasche hat. Und danach? „Ich könnte mir gut vorstellen, an der Hochschule zu bleiben und Professorin zu werden. Da hat man immer beides, Lehre und Forschung.“ Schon jetzt hält sie Vorlesungen in Mathematik, in einem Brückenkurs, der Studierenden, die nach einer Berufsausbildung auf dem Zweiten Bildungsweg zur HAW Hamburg gekommen sind, oder solchen, die nach dem Abitur pausiert haben, den Einstieg erleichtern soll. Das Wissen, das sie dabei weiter­trägt, und das Feedback sind eine starke Motivation für sie. Und das gilt nicht nur in Bezug auf die fachlichen Inhalte. Der Schritt vom angeleiteten Lernen in der Schule zum selbstständigen Wissenserwerb an der Hochschule ist groß.

„Ich kann in meinen Vorlesungen den Erstsemestern so viel weitergeben, was mir selbst im Studium geholfen hat.“ Ob es mit Lehre und Forschung am Ende klappt, bleibt abzuwarten. Auch wenn Motivation und Qualifikation stimmen, muss sich die richtige Gelegenheit bieten. Aber das findet sie nicht weiter schlimm. Den Studierenden in ihrer Mathe-Vorlesung versucht Hannah Hoppen zu vermitteln, dass es kein Problem ist, wenn sie bei der Lösung von Aufgaben auf Umwegen ans Ziel kommen. Für den Berufsweg gilt das aus ihrer Sicht nicht minder. 
Text: Heinrich Grossbongardt

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