004-Additive Fertigung / 3D-Druck - Was ist das eigentlich?
Die Episode
Transkript
Hallo - es ist Zeit für etwas Fertigungstechnik
Ich bin Jens Telgkamp, Professor am IPT der HAW Hamburg. Die Additive Fertigung ist eines meiner Haupt-Themen, neben Fertigungstechnik allgemein, Strukturoptimierung und Finiten Elementen.
Thema heute: Additive Fertigung, auch 3D-Druck genannt - ist das eigentlich wirkliche das gleiche? Strenggenommen nicht, 3D Druck bezeichnet nur ein spezielles Verfahren, das zur Gruppe der Additiven oder Generativen Fertigungsverfahren gehört. Additive Fertigung ist also der Oberbegriff, 3D Druck ein Spezialfall. Ich erwarte aber, dass sich 3D-Druck als Oberbegriff bald durchsetzt, also zum Synonym für Additive Fertigung wird. Es ist aber auch ein schöner Begriff: in Analogie zum 2D-Druck auf Papier. Der Papierdrucker druckt in 2D auf Papier, der 3D Drucker druckt dreidimensional aus einem Material (was dieses Material sein könnte, dazu später mehr). Die Daten kommen in beiden Fällen (2D wie 3D Druck) aus einem Computer.
Beim Tiefziehen, der ersten Folge dieses Podcasts, hatte Kollege Benjamin Remmers es leicht: Er konnte behaupten, dass jeder von Ihnen einige tiefgezogene Gegenstände zu Hause hat. Bei der additiven Fertigung ist das nicht so leicht. Warum eigentlich nicht? Hauptsächlich, weil die Produktion noch so teuer ist, dass es sich für Endverbraucher-Produkte meist nicht lohnt. Klar kann man einen Schneebesen oder einen Lampenschirm drucken, aber ist das sinnvoll? Meist sind die etablierten Verfahren der Serienproduktion besser und/oder günstiger. Ich bin selbst nicht ganz sicher, ob ich ein 3D gedrucktes Teil in meinem Haushalt habe, abgesehen von denen, die ich berufsbedingt natürlich besitze. Wenigstens ein Produkt fällt mir ein, das vielleicht die oder der ein oder andere zu Hause hat, dazu komme ich am Schluss nochmal.
Erstmal zu den Grundlagen der additiven Fertigung: Es werden immer Bauteile oder Produkte durch schichtweises Auftragen erzeugt. Dafür braucht man digitale Geometriedaten. Die Geometrie wird also schichtweise erzeugt, letztlich 3-Dimensional ausgedruckt. Die Additiven Fertigungsverfahren haben mittlerweile auch ihre Heimat in der Systematik der Fertigungstechnik gefunden. In der DIN 8580 gehören sie zu den urformenden Fertigungsverfahren. Das ergibt auch Sinn, denn die Geometrie des Bauteils entsteht während des Prozesses, gleichzeitig entstehen die Materialeigenschaften bzw. das Gefüge, wie beim Gießen, das ja auch zu den urformenden Verfahren gehört. Eine weitere Gemeinsamkeit: wenn ich mich mit den Verfahren nicht gut auskenne, kommt Grütze heraus. Dann habe ich vielleicht eine brauchbare Geometrie erzeugt, aber bei schlechten Materialeigenschaften, oder eine unbrauchbare Geometrie bei akzeptablen Materialeigenschaften, oder ich versemmele beides. Ziel ist natürlich, beides gleichzeitig hinzubekommen, und dazu brauche ich viel Know-How und Erfahrung.
Wenn das kein Podcast wäre, würde jetzt vielleicht jemand fragen, wie alt die Geschichte er Additiven Fertigung ist. Also stelle ich mir die Frage vor, und beantworte sie auch gleich. Das erste Fertigungsverfahren aus dieser Gruppe stammt aus den 1980er Jahren, ist also grob 40 Jahre alt, und in etwa so alt wie die modernen Computer (logisch, denn Computer brauche ich auch zum Additiven Fertigen). Damit sind die Verfahren älter, als manch eine*r denkt. Wenn ich natürlich Gießerespezialist*innen drauf anspreche, kriege ich nur ein müdes Lächeln zurück. Denn Gießverfahren kennt die Menschheit seit der Bronzezeit, seit etwa 4000 Jahren. Wie kann ich da behaupten, die Additiven Verfahren wären schon lange bekannt?
Nochmal zum allgemeinen Verfahrensablauf: wo kommen denn die Daten eigentlich her? Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: entweder jemand hat die Geometrie konstruiert (heute wird ja eh fast nur noch dreidimensional konstruiert), oder die Daten kommen aus einem Scan, z.B. ein Ersatzteil, dass ein physisch vorhandenes Bauteil ersetzen soll, dass dann erst eingescannt wird, oder in der Medizintechnik, wo z.B. ein Implantat gut zum Körper der Patientin oder des Patienten passen muss, wozu ihre oder seine Anatomie erfasst werden muss. Ein medizinischer 3D-Scanner könnte ein Computertomograph oder ein Kernspintomograph / MRT sein.
Und wie wird nun gefertigt bzw gedruckt? Es gibt eine Vielzahl von Verfahren. Wir fangen wieder mit den Gemeinsamkeiten an. Jedes Verfahren hat ein konturierendes oder schichterzeugendes Element, mit dem die Geometrie der einzelnen Schicht aus Material erzeugt wird. Das kann zum Beispiel eine Scannereinheit sein, die einen Laserstrahl durch die ganze Geometrie steuert oder ein Plotter, analog zu den Bewegungsachsen in einem NC Bearbeitungszentrum. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten. Dann kommt noch ein generierendes Element dazu, welches die Schicht physisch erzeugt und mit der darunterliegenden Schicht verbindet. Das kann der Laser sein, der das Material aufschmilzt und mit der vorherigen Schicht verschweißt, oder eine beheizte Düse (Umgangssprachlich "Heißklebepistole"), und auch hier gibt's noch weitere Möglichkeiten.
Grundsätzlich kann ich dann also diese Elemente kombinieren, und habe dann hoffentlich auch eine Idee, welches Material verarbeitet werden soll: pulverförmiges Polyamid, drahtförmiger ABS Kunststoff, Metallpulver, Keramikpulver, lichtaushärtendes Harz, Schokolade, und so weiter. Wenn's gut läuft, habe ich durch Kombination der Elemente ein neues additives Fertigungsverfahren erfunden. Hoffentlich habe ich auch eine Idee, was ich damit machen kann und wer das alles umsetzten und bezahlen soll. Und natürlich ist es immer schwer vorherzusagen, was alles noch erfunden wird im Vergleich zu dem, was wir heute schon kennen.
Ich will wenigstens kurz einige Beispiele nennen für Verfahren, die bereits erfunden und etabliert sind. Die Materialextrusion, auch FLM oder FFF genannt, verdruckt Kunststofffilamente und ist das Verfahren, das man sich am ehesten privat und für den Heimbedarf anschaffen kann. Bevor man den Drucker kaufen darf, muss man zu Hause der Partnerin oder dem Partner erzählen, dass man etwas Sinnvolles damit machen könnte. Zum Beispiel ein Ersatzrad für den Rasenmäher drucken, oder ein Designer Schlüsselbrett mit den Initialen des oder der Angebeteten als Grundform oder etwas ähnlich Schönes oder Nützliches. Die Stimmung zuhause wird dann übrigens nach der Anschaffung noch angespannter, wenn statt des schönen Objekts erstmal nur ein Haufen Plastikspaghetti im Bauraum liegt. Wie gesagt: es gehört selbst beim einfachen Drucker für zu Hause schon etwas Know-How dazu. Zweites Beispiel für ein konkretes Verfahren: Ein Industriell wichtiges Verfahren ist das Laserstrahlschmelzen im Metallpulverbett zur Herstellung hochwertiger Metallbauteile mit komplexer Geometrie. Eine Verfahrensliste, die auch nur ansatzweise vollständig ist, wäre eine eigene Podcastfolge, und die gibt's vielleicht später auch mal.
Jetzt kann ich also additiv Bauteile herstellen, umgangssprachlich 3D-Drucken. Die entscheidende Frage ist nun: was mache ich damit? Welche Bauteile, welche Anwendungen? Wie konstruiere ich Bauteile so, dass sich der Einsatz der Additiven Verfahrens auch finanziell lohnt? Wie nutze ich das geschickt aus, was die Additive Fertigung gut kann? Zum Beispiel ganze Baugruppen in einem Bauteil zu vereinen, statt sie montieren zu müssen. Oder die enge Verwandtschaft zwischen additiver Fertigung, Strukturoptimierung und Bionik. All das ist genug Stoff für eine eigene Podcast-Folge, an der HAW Hamburg ist es auch genug Stoff für eine eigene Mastervorlesung, die ich dort halte.
Nun zur Auflösung der Frage vom Anfang: das Produkt, dass sich in manchen Haushalten findet, ist überraschenderweise ein Kosmetik-Produkt: eine Mascara Bürste, die vom AM Maschinenhersteller EOS mit dem Kosmetikhersteller Chanel entwickelt wurde. Das Produktionsverfahren (Selektives Lasersintern von Polyamidpulver) kann die benötigten Details der eng benachbarten Elemente in der Bürste so gut herstellen wie kein anderes Fertigungsverfahren und die Kunden (meist wahrscheinlich Kundinnen) sind bereit, dafür zu bezahlen.
Schließlich noch ein Tipp: wenn Sie bei der Recherche rund um die Bauteilkonstruktion für die Additive Fertigung auf ELISE treffen: keine Angst! ELISE ist zwar etwas tough, aber es macht Spaß mit ihr zu arbeiten.
geschrieben von Dr.-Ing. Jens Telgkamp
eingesprochen von Dr.-Ing. Jens Telgkamp