008-Additive Verfahren - Teil 1

Die Episode

Folge herunterladen

Transkript

Hallo - es ist wieder mal Zeit für etwas Fertigungstechnik

Ich bin Jens Telgkamp, Professor am IPT der HAW Hamburg. Ich habe mich ja schonmal in der ersten Folge rund um den 3D Druck vorgestellt vor einigen Wochen – seitdem hat sich in meinem Lebenslauf nicht so viel geändert.

Kurz zur Nomenklatur: ich rede im weiteren Verlauf nur noch von AM (für „Additive Manufacturing“) und meine damit die Gesamtheit aller Verfahren, die zur Additiven Fertigung – umgangssprachlich auch „3D-Druck“ genannt – gehören.

Nachdem es in der ersten Folge um die Frage ging, warum man überhaupt additiv fertigt, und wie sich das zu den etablierten Fertigungsverfahren positioniert, soll es heute um eine AM Technologieübersicht gehen.

Wie macht man eine Technologieübersicht? Es gibt grundsätzlich mehrere Möglichkeiten:

  • Erstens: Ich kann nach den verdruckbaren Materialien vorgehen. Also zuallererst fragen, welches Material ich benutzen will (Kunststoff, Metall, Polymere, Nudelteig, usw.), um dann zu Fragen, wie das geht. Nudelteig gibt’s übrigens wirklich als 3D Druck Material, Schokolade auch.
  • Zweite Möglichkeit einer Systematik: ich kann statt von den Materialien auch vom Aggregatzustand des verwendeten Rohmaterials ausgehen. Das ist nicht unbedingt das gleiche wie die erste Möglichkeit. Wenn ich mir zum Beispiel den pulverförmigen Materialzustand als Ausgangszustand vornehme, dann habe ich auf der Materialseite direkt Polymere, Metalle und Keramiken mit drin, bin also gleich in mehreren Materialsystemen unterwegs.
  • Dritte Möglichkeit einer Systematik: ich kann technologisch vorgehen, also zuerst fragen, mit welchen physikalischen Prinzipien ich die einzelnen Schichten erzeugen, aushärten und verschweißen will, um dann später zu sehen, welche Materialien ich jeweils in welchem Ausgangszustand verarbeiten kann. Ich könnte also gucken, was ich z.B. mit einer Laser-Scanner-Einheit machen kann, und käme wiederum auf verschiedene Materialien (Metalle, Polymere, usw.) und Aggregatzustände (Pulver, flüssiges Harz, uvm.)
  • Vierte Möglichkeit einer Systematik: ich gehe chronologisch vor, erzähle also eine kurze Geschichte der AM Verfahren.

Ich entscheide mich für „viertens“: die Chronologie passt wohl am besten zur Erzählung in Podcastform und wird die wenigsten Unfälle durch eingeschlafene Podcasthörer verursachen. Dass das gar nicht so einfach ist mit der chronologischen Reihenfolge, zeigt sich gleich. Mir scheint es wichtiger, in welchem Zeitraum die jeweiligen Verfahren tatsächlich eine industrielle Bedeutung erlangt haben, als einfach die Patentanmeldungen zeitlich zu sortieren. Man könnte es natürlich auch genau andersherum sehen.

Die ersten AM Technologien waren LOM und SLA, entwickelt etwa Mitte der 1980er Jahre.

Ich beginne mit LOM, das steht für Laminated Object Manufacturing und funktioniert in etwa so, wie man AM im Kindergarten oder in der Grundschule machen würde. Im Grunde läuft es auf Ausschneiden und Verkleben hinaus. Die einzelnen Schichten werden also aus einem Material (z.B. aus Pappe oder dünnem Holzfurnier) ausgeschnitten und mit der jeweils darunterliegenden Schicht verklebt. Einzelne Schichten werden also erst physisch erzeugt und dann zusammengeklebt – anschaulicher geht es kaum. Natürlich in der Version als industrielles AM Verfahren nicht mit Schere, Papier und Klebstofftube, sondern in einer NC gesteuerten Maschine.

Ähnlich alt wie LOM ist die Stereolitographie – auch SLA genannt (das steht für Stereo Litography Apparatus). Im Gegensatz zum etwas angestaubten LOM spielt SLA bis heute eine Rolle als wichtiges AM Verfahren für bestimmte Anwendungen, z.B. in der Medizintechnik oder für die Produktion von Bauteilen aus gummiartigen Materialien. Vielleicht kennt ihr den AM Adidas Turnschuh, der ist im CLIP Verfahren gebaut, eine moderne Variation von SLA. Wie funktioniert das Verfahren? Gebaut wird das Bauteil aus einem flüssigen, lichtaushärtenden Kunststoff – aus einem Harz also. Das Bauteil steht während des Bauprozesses in einem Bad aus Harz. Im Bauraum das halbfertige Bauteil, außenrum flüssiges Harz. An der Harz-Oberfläche wird jeweils die nächste Schicht zum Bauteil hinzugefügt. Hinzugefügt heißt: das Bauteil wird etwas in das Harzbad abgesenkt, so dass eine neue dünne Schicht aus flüssigem Harz über der bisher gebauten vorherigen Schicht des Bauteils entsteht. Das Harz läuft über dem Bauteil zusammen bzw. wird darüber glattgestrichen. Und diese Schicht wird nun mit einem Laserstrahl belichtet. „Belichtet“ bedeutet hier: Der Laserstrahl wird genau so über die Oberfläche gelenkt, dass eben die richtige Geometrie der Schicht entsteht. Die Schicht wird also selektiv ausgehärtet und gleichzeitig mit der Schicht darunter zusammengefügt. Danach beginnt der Vorgang von vorn: eine neue Schicht aus flüssigem Harz wird aufgetragen, erneut wird der Laser die neue Bauteilschicht aus dieser flüssigen Schicht generieren, und so weiter. Am Ende steht das (fast) fertige Bauteil im Harzbad, wird dann ausgepackt, gesäubert und nachbearbeitet.

Soweit zum SLA, wir machen weiter in der Geschichte der Verfahren: 1988 kommt ein weiteres Verfahren hinzu, das von Anfang an und bis heute große Bedeutung hat: Das Strangablegeverfahren, auch Fused Deposition Modelling (FDM) genannt. FDM wird heute übrigens meist als FFF, FLM oder MEX bezeichnet, nur der Vollständigkeit halber. Erfunden von einem Amerikaner, der auf die Idee kam, ein Spielzeug für seiner Tochter zu bauen – die Form hatte er schon vor Augen – und in diesem Moment zufällig eine Heißklebepistole in der Hand. Der Mann erzeugte die Form durch schichtweises Auftragen aus der Heißklebepistole und gründete später die Firma Stratasys. Das Verfahren erzeugt Bauteile, indem die Düse – tatsächlich eine Art Heißklebepistole – über die Oberfläche des entstehenden Bauteils geführt wird und dabei einen Strang aus Material auf die Oberfläche ablegt. Das Material ist in den meisten Fällen ein thermoplastischer Kunststoff – also zum Beispiel ABS oder Polycarbonat, das in der Düse aufgeschmolzen wird. Es kann aber auch etwas ganz anderes sein. Kürzlich gab es einige Zeitungsartikel über 3D-gedruckte Häuser. Das ist auch eine Art FDM Verfahren – nur dass hier ein Strang aus schnellaushärtendem Beton abgelegt wird und alles etwas größer ist. FDM ist verbreitet, weil es relativ einfach und sauber ist. Wer einen 3D-Drucker zu Hause hat, der hat wahrscheinlich einen solchen.

Bevor wir weitermachen in der Geschichte der AM Verfahren: Jetzt ist es an der Zeit für eine generelle Bemerkung rund um die Verfahren:

  • Es gibt keine „guten“ oder „schlechten“ AM Verfahren. Schon anhand der bisher besprochenen Verfahren lässt sich das gut erklären: Die Stereolitographie als ältestes Verfahren erstellt Bauteile aus Harzen. Dabei werden faszinierende Details erzeugt. Manche Bauteile sehen so gut aus, dass man sich fragt, warum wir überhaupt noch andere Technologien brauchen. Wenn man sich die Materialeigenschaften ansieht, kommt auch gleich die Antwort: die Harze sind mechanisch nicht besonders gut, und nicht besonders langzeitstabil. Das Strangablegeverfahren erzeugt zwar weniger faszinierende Details als SLA und ist insgesamt etwas gröber. Dafür sind nun aber echte Strukturmaterialien dabei, bis hin zu Hochleistungs-Kunststoffen wie Polycarbonat oder ULTEM, oder faserverstärkte Variationen. Damit ist klar: Das eine Verfahren baut faszinierende Details aus relativ schlechten Materialien, das andere baut geometrisch etwas einfachere Teile aus richtigen Strukturmaterialien. Es gibt also kein „gut“ oder „schlecht“, aber wir müssen etwas davon verstehen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen und ein geeignetes Verfahren und Material auszuwählen.

Zurück zur Verfahrens-Historie: In den 1990ern kam das erste bedeutende Metall-AM Verfahren dazu – das selektive Laserstrahlschmelzen von Metallpulvern. Im Grunde sieht es ähnlich aus wie SLA. Anstelle des Kunststoff-Bauteils im Harzbad stellen wir uns nun einfach ein Metallbauteil in einem Pulverbett vor – dieses besteht aus feinem Metallpulver in einer Baukammer. Wiederum – wie bei der Stereolitographie – wird das Bauteil nach jeder Schicht etwas tiefer ins Pulverbett abgesenkt und eine frische Schicht aus Pulver drübergezogen, die dann auf der Oberfläche des halbfertigen Bauteils und dem umgebenden Pulverbett zu liegen kommt. Diese Schicht wird dann per Laserstrahl verfestigt und gleichzeitig mit der Schicht darunter verschweißt. So entstehen Metallbauteile, welche, wenn wir alles richtig machen, ähnlich gute Materialeigenschaften haben wie Guss- oder Schmiedeteile. Und gleichzeitig haben wie die Gestaltungsfreiheit der Additiven Fertigung – das ist attraktiv und deshalb auch erfolgreich. Das selektive Laserstrahlschmelzen im Pulverbett ist bis heute die wichtigste AM Technologie im Metallbereich.

Die Technologieübersicht wird fortgesetzt bis in die Gegenwart, aber in einer separaten Folge. Ich bitte um ca. zwei Wochen Geduld. Bleibt gesund und bis dann!

geschrieben von Prof. Jens Telgkamp
eingesprochen von Prof. Jens Telgkamp