009-Additive Verfahren - Teil 2
Die Episode
Transkript
Hallo - es ist wieder Zeit für etwas Fertigungstechnik
Ich bin Jens Telgkamp, Professor am IPT der HAW Hamburg. Und hier kommt die direkte Fortsetzung zu der AM Technologieübersicht.
Im ersten Teil der Doppelfolge habe ich mich für die chronologische Aufarbeitung der AM Fertigungsverfahren entschieden, ich sortiere die einzelnen Fertigungsverfahren also auf dem Zeitstrahl nach ihren ungefähren Daten, zu denen die Verfahren eine industrielle Bedeutung erlangt haben. Auf diesem Zeitstrahl sind wir dann schon am Laminated Object Manufacturing, an der Stereolitographie sowie am Strangablegeverfahren vorbeigekommen und haben schließlich schon das selektive Laserstrahlschmelzen von Metallpulvern gestreift.
Und hier geht’s weiter: Im Laserstrahlschmelzen kann ich also hochwertige Metallbauteile herstellen, in dem ich Metallpulver mit einem Laserstrahl aufschmelze. Das Verfahren wird heute meist als Laser Beam Melting (LBM) bezeichnet, auch wenn verschiedene Hersteller zusätzlich ihre eigenen Bezeichnungen eingeführt haben, wodurch die Übersichtlichtlichkeit nicht unbedingt zunimmt. Eine wichtige Variation ist das Elektronenstrahlschmelzen (Electron Beam Melting – EBM), auf das ich hier nicht weiter eingehe.
Ganz grob zeitgleich zum Selektiven Laserstrahlschmelzen/Elektronenstrahlschmelzen von Metallpulvern kam das Selektive Lasersintern von Polymerpulvern dazu (wobei ich hier zugeben muss, dass diese Technologie patentmäßig etwas älter ist, aber von der praktischen Bedeutung her eben nicht). Es handelt sich also um eine ähnliche Technologie für ein völlig anderes Material: es wird nun Kunststoffpulver verarbeitet, der Prozess sieht ähnlich aus wie beim Laserstrahlschmelzen von Metallpulver. Eine Besonderheit des Prozesses mit den Polymerpulvern: Durch die mechanischen Eigenschaften des Pulverbetts, also des unversinterten Kunststoffpulvers, kommt man in der Regel sogar ohne Stützstrukturen aus. Deshalb gilt das Lasersintern von Kunststoffpulvern – kurz SLS – vielen als das Verfahren mit der höchsten Gestaltungsfreiheit. Die Konstrukteurin oder der Konstrukteur kann sich bei der Entwicklung eines Kunststoffteils für dieses Verfahren so richtig ausleben in Bezug auf Kreativität, Strukturoptimierung und Bionik und natürlich die Ästhetik.
Es war jetzt schon einmal die Rede von Stützstrukturen (englisch Supportstrukturen oder Supports) und ihr fragt Euch eventuell, was das ist. Ich werde das hier kurz erklären: Nach den bisherigen Ausführungen erscheint es fast so, als könnte die AM Technologie fast alles bauen, beliebige Geometrien und Details. Ganz so ist das leider nicht. Zur Notwendigkeit der Stützstrukturen machen wir ein kleines Gedankenexperiment. Der Klassiker ist die Kaffeetasse. Stellt euch vor, ihr wollt eine Kaffeetasse bauen. Eine ganz normale Tasse, mit dem Henkel an der Seite, wobei der Henkel nicht bis zum Tassenboden herunterreicht. Gebaut werden soll sie stehend – also so, wie vor euch sie auf dem Tisch steht. Die untersten Schichten werden zuerst gebaut. Diese sind so tief, dass der Henkel noch keine Rolle spielt. Irgendwann wird dann aber die Höhe erreicht, in der auch der Henkel erstmals vorkommt. Die Schwierigkeit: der tiefste Punkt des ovalen Henkels ist außerhalb des bisherigen Tassenquerschnitts. Die Verbindung zur Tasse kommt ja erst später – in einer höhergelegenen Schicht. Zu diesem Zeitpunkt sind die Schichten, welche die Verbindung zwischen Tasse und Henkel schaffen, noch gar nicht gebaut. Und eben das ist unmöglich. Die unterste Schicht des Henkels – außerhalb der Tasse – müsste ja in der jeweiligen Höhe einfach so „in der Luft“ anfangen. Wir benötigen etwas, wo wir die erste Schicht des Henkels drauflegen können. Wir benötigen eine Stützstruktur, die schon von der ersten Schicht an mit gebaut wird, um den Henkel später abzustützen. Man sieht: AM kann zwar vieles bauen, aber ohne passendes Know-How geht’s eben doch nicht.
Wir machen weiter mit der Chronologie: ebenfalls aus den 1990er Jahren stammen die Verfahren, die wir zusammenfassend als Binder Jetting bezeichnen, die praktische Bedeutung nimmt seitdem langsam zu. Gedruckt wird hier nicht das Material selbst, sondern nur der „Klebstoff“, der das Material zusammenhält, eine Art Bindemittel. Und dieses wird meist aus einem Druckkopf gedruckt, welcher dem eines 2D-Tintenstrahldruckers ähnelt. Das Material selbst, das zusammengeklebt werden soll, liegt dann in einem Pulverbett unterhalb des Druckkopfes – wobei natürlich nach jeder verklebten Schicht eine dünne Schicht aus unverklebtem Pulver aufgetragen werden muss. Was kann ich damit anfangen? Es gibt ziemlich viele Möglichkeiten: Ich kann Kunststoffpartikel direkt zu einem Bauteil zusammenkleben, gerne auch mit mehrfarbigen Klebstoffen – dann ist es sozusagen ein Farb-3D-Tintenstrahldrucker für mehrfarbige Bauteile. Ich kann aber auch Metallpartikel verkleben, um dann später die Klebstoffphase herauszulösen und die verbleibenden Metallpartikel zu einem dichten Metallteil zu versintern. Metallteile aus dem Kunststoffdrucker, wenn auch mit einem Zwischenschritt. Oder ich verklebe Sandkörner, um eine Gussform zu erhalten. Im Gegensatz zum klassischen Sandformguss kann ich dann ohne Modellbau direkt aus dem Computer die verlorene Sandform herstellen, und damit dann das Gussteil produzieren.
Anfang der 2000er Jahre kam eine Variation auf den Markt: das Polyjet Verfahren. Es handelt sich um Material Jetting, im Gegensatz zum eben besprochenen Binder Jetting. Der Unterschied wird schon aus den Begriffen klar: Es wird zwar nach wie vor mit einem Druckkopf gearbeitet, aber nun wird nicht mehr „nur“ der Klebstoff gedruckt, sondern tatsächlich das Material. Im Grunde sind wir hier wieder auf lichtaushärtende Harze beschränkt, wie am Anfang des Podcasts beim SLA. Das Harz wird also direkt aus den Druckkopfdüsen aufgetragen und nach dem Auftreffen auf die Bauteiloberfläche ausgehärtet – die dazu benötigte UV Lampe fährt direkt am Druckkopf mit.
Wir bleiben beim Kunststoff: 2013 stellte die Firma Arburg ihren „Freeformer“ vor, das Verfahren heißt auch Arburg Kunststoff Freiformen – AKF. Es ähnelt dem Strangablegeverfahren, aber anstelle der kleinen Düse, die ich als „Heißklebepistole“ bezeichnet habe, finden wir nun einen Extruder wie in einer Spritzguss-Maschine für Kunststoffteile. Der Granulatförmige Kunststoff wird in der Extruderschnecke aufgeschmolzen und transportiert und an dessen Ende dann in Form kleiner Tröpfchen von einer Piezo-Mechanik ausgeschleudert. Die Tröpfchen landen an der passenden Stelle auf der Oberfläche des Bauteils und verfestigen sich sofort durch Abkühlung. Es werden also wie beim Strangablegen meist thermoplastische Kunststoffe verbaut.
Noch einmal zurück zu den Metallen: Es gibt noch eine Familie von Metall-Technologien, welche mich mit meinem Chronologie-Konzept etwas ins Schwitzen bringt: Die Familie des Direct Energie Deposition – kurz DED, und zu Deutsch: Auftragsschweißen. Mit dem Zeitstrahl ist es beim DED insofern etwas schwierig, dass die Technologie im Prinzip sehr alt ist (es gibt ein Patent für eine DED gefertigte Kaffeekanne, das ziemlich genau 100 Jahre alt ist und nie zur Anwendung kam, weil Additive Fertigung ohne Computer einfach gar keinen Spaß macht). Auf der anderen Seite: wenn ich nach der tatsächlichen praktischen Bedeutung gucke, dann sehe ich, dass gerade in den letzten Jahren das Interesse erstmals stark ansteigt – deshalb erwähne ich die Technologie hier am Ende. DED basiert auf Schweißtechnologie. Allerdings geht es hier nicht um das Zusammenschweißen von Bauteilen (das wäre ja Fügetechnologie), sondern um den Aufbau des kompletten Bauteils aus Schweißraupen. Die geometrische Freiheit wird erreicht, indem ich mein Schweißgerät entweder auf einen Roboter montiere oder auf eine Plotter-Mechanik, wie die Achsen in einem CNC Bearbeitungszentrum. Das Material ist schweißbares Metall, entweder als Draht von der Rolle oder als Pulver aus einem Pulvertank. Die Energiequelle ist beispielsweise ein Lichtbogen, eine Plasmaquelle, eine Gasflamme oder ein Laser- oder Elektronenstrahl. Das sind viele Kombinationsmöglichkeiten, weshalb man DED wirklich als Familie von Technologien begreifen sollte. Was mache ich eigentlich damit? Ich baue meist größere Metallteile, bei denen es etwas weniger auf geometrische Details ankommt als bei den kleineren Pulverbettbauteilen. Die Oberfläche der DED Teile sieht dann auch stark nach Schweißraupe aus, und muss meist nochmal glattgefräst werden. Das lohnt sich aber in der Praxis in vielen Fällen, denn die Alternative wäre es, das Bauteil gleich aus dem Vollen zu fräsen oder ein Schmiedewerkzeug bauen zu lassen, und das ist unter Umständen noch teurer und langsamer als die Kombination von Auftragsschweißen und Überfräsen.
Was gibt’s noch? Wir sind fast in der Gegenwart angekommen. Nach der Gegenwart kommt ja dann bald die Zukunft, und da könnte ich gleich weitermachen: welche Technologien sind in Entwicklung, was ist für die nächsten Jahre zu erwarten, was kommt noch?
Wer bei Thingiverse – einer Plattform für Dateien, aus denen sich 3D Druck Teile herstellen lassen, einfach mal nach „clock“ sucht, der wird eine Vielzahl an 3D gedruckten Uhren finden. Und wer jetzt auf seine konventionell hergestellte Uhr blickt, wird feststellen, dass wir hart an der 10-Minuten-Grenze sind. Ich widerstehe daher dem Impuls, jetzt noch die technologische Zukunft von AM zu beleuchten. Genug Stoff für eine eigene Folge, Fortsetzung folgt.
geschrieben von Prof. Jens Telgkamp
eingesprochen von Prof. Jens Telgkamp