011-Sprengplattieren
Die Episode
Transkript
Es ist mal wieder Zeit für ein wenig Fertigungstechnik.
In meinem Hauptpraktikum beim Deutschen Elektronensynchrotron in Hamburg habe ich ein Fertigungsverfahren kennengelernt, von dem in der Fertigungstechnik-Vorlesung keine Rede war.
Ich spreche vom Sprengplattieren. Ganz kurz gesagt: Beim Sprengplattieren werden zwei Bleche, Platten oder Profile mittels der Explosion eines Hochenergiesprengstoffs miteinander verbunden.
Was tue ich zuerst als guter Ingenieur? Ich schaue mal, wo ich das Verfahren in das Ordnungssystem nach der DIN 8580 einsortieren kann. Die Grundlagen dieses Systems habe ich in Folge 2 erklärt. Und da hat mich das Sprengplattieren doch glatt ein wenig gelinkt.
Laut der kurzen Beschreibung eben habe ich mich zuerst in der Hauptgruppe 4 „Fügen“ umgeschaut und bin dort in die Gruppe 4.5.3 „Fügen durch Umformen bei Blech-, Rohr- und Profilteilen“ abgebogen. In der dazugehörigen DIN 85 93 Teil 5 bin ich dann aber nicht fündig geworden.
Also habe ich eine Literaturrecherche angefangen und bin beim „Handbuch Wärmebehandeln und Beschichten“ von Günter Spur gelandet. Er ordnet das Metallplattieren ebenso wie das Pulver- und Folienbeschichten in das Kapitel „Beschichten aus dem festen Zustand“ ein.
Zurück in der DIN 8580 schaue ich in die Hauptgruppe 5 „Beschichten“ und stutze, da es dort so eine Untergruppe gar nicht gibt.
Mein Redaktionskollege Prof. Telgkamp gab mir dann den Tipp, dass das Sprengplattieren im Englischen unter anderem „Explosion Welding“ heißt – Schweißen also!
So schaue ich wieder in Hauptgruppe 4 „Fügen“ und dort findet man irgendwann in Gruppe 4.6.1 das Pressschweißen.
Die gesamte Liste der Schweiß- und Lötverfahren ist dann wiederum in der DIN EN ISO 4063 aufgeführt. In Kategorie 44 „Schweißen mit hoher mechanischer Energie“ gibt es dann als Nummer 441 das Sprengschweißen.
Nachdem ich das Verfahren jetzt in die entsprechende Schublade einordnen kann, beginne ich mal mit dem Sinn. Der wohl hauptsächliche Anwendungsfall besteht darin, vollflächig verbundene Halbzeuge wie Bleche, Bänder oder Profile aus mindestens zwei verschiedenen Werkstoffen zu erzeugen. Dabei geht es vorwiegend darum die besten Eigenschaften beider Materialien zu verbinden: geringe Dichte und Korrosionsbeständigkeit - elektrische Leitfähigkeit und Festigkeit - oder ähnliches.
Die beiden Werkstoffe werden dabei jedoch nicht aufgeschmolzen, wodurch ungünstige Eigenschaften wie Sprödigkeit oder verminderte Leitfähigkeit vermieden werden, die durch Legierungsbildung oder intermetallische Phasen entstehen können. Die metallische Bindung ist am Ende so stabil, dass sogar nachgelagerte Umformprozesse ausgeführt oder weitere Schichten aufplattiert werden können.
So, nun aber mal zum Knalleffekt. Wie bringen wir die Bleche und den Sprengstoff zusammen? Die Oberflächen der Halbzeuge sollen mit viel Kraft so dicht zusammengebracht werden, dass die metallische Bindung wirken kann. Das Unterteil kann im Prinzip so dick sein, wie es mag. Die Auflage kann von wenigen Mikrometern bis zu 15mm dick sein und muss duktil, also fließfähig, genug sein, um die Umformungen zu überstehen.
Beide Teile müssen vor dem Fügevorgang aufbereitet werden. Die Kontaktflächen werden entfettet und geschliffen, um möglichst eben Flächen zu erzeugen und Oxide zu entfernen. Diese würden die Bindung stören. Dann werden die Bleche aufeinandergelegt, so dass zwischen Ihnen ein definierter Abstand bleibt. Dazu werden entweder dünne Blechwinkel aufgebracht oder kleine Stützen angepunktet (Punktschweißen), die dann mit einplattiert werden. Der Spalt wird anschließend nach außen abgeklebt, damit kein Schmutz mehr eindringen kann.
Die so vorbereiteten Platten werden dann üblicherweise in einem Steinbruch oder Stollen platziert.
Dort wird dann ein Hochenergiesprengstoff (wie zum Beispiel Dynamit oder heute dessen Nachfolger) in Pulverform auf die obere Platte aufgebracht und mit einem Zünder versehen. Bei runden Werkstücken wird häufig in der Mitte, bei rechteckigen Platten oder Bändern an der schmalen Seite oder in einer Ecke gezündet. Häufig werden gleich mehrere solcher Paarungen nebeneinander vorbereitet und plattiert.
Rumms!
An der Stelle der Zündung knallt die Auflage wie Thors Hammer auf das Grundmaterial. Dabei werden kleinste Partikel aus der Oberfläche herausgeschlagen und zur Seite beschleunigt. Dabei entsteht der sogenannte Jet, ein Wind, der vor der Explosionsfront herweht und mit den Kleinstpartikeln die Oberflächen im Spalt zusätzlich wie beim Sandstrahlen reinigt und allen Schmutz aus dem Spalt pustet.
Es entstehen so also 3 Bereiche: Die Stellen, die schon zusammengepresst wurden, die „Knickzone“, in der das Material zur Unterlage beschleunigt wird und wo sich so ein charakteristischer Winkel einstellt, und das noch untätige Material.
An dem Punkt, wo jeweils die Übergangszone auf den Grundwerkstoff trifft, findet nun zum einen die metallische Bindung statt und zum anderen tritt eine elastisch-plastische Verformung auf. Diese zeigt sozusagen einen Stick-Slip-Effekt: Das Material wird in Richtung der Explosionsfront verformt, die Spannung erhöht sich, dadurch zieht es sich wieder etwas zurück, wodurch die Spannung wieder sinkt und so weiter. Einen ähnlichen Effekt (allerdings rein elastisch) kann man bei einer knarrenden Tür hören oder bei einer Geigenseite, wenn sie mit dem Bogen gestrichen wird.
Bei unserer Sprengplattierung bildet sich dadurch eine wellenförmige Struktur in der Kontaktzone aus, deren Wellenkämme immer quer zur Explosionsrichtung liegen. Dies kann man in Schliffbildern sehr gut erkennen.
Im Bereich direkt unter der Zündung findet dieses Fließen nicht statt, daher muss diese Stelle nachträglich entfernt werden.
Die Erwärmung des Materials ist übrigens vernachlässigbar. Es findet, zumindest gewollt, keine Wärmebehandlung statt.
Das Ergebnis ist zugegebenermaßen nach der Explosion etwas verbeult. Nach dem Abtransport finden noch einige Nacharbeiten statt. Die entstandene Platte wird zunächst gereinigt. Dann folgt eine Wärmebehandlung, um die im Werkstoff vorhandenen Spannungen abzubauen. Die Beulen werden in einem Richtvorgang beseitigt und die Oberflächen noch einmal plangefräst oder -geschliffen. Aus dem so entstandenen Halbzeug können dann die gewünschten Formen herausgeschnitten werden.
Ein verwandtes, nicht ganz so explosives Verfahren wäre übrigens das Walzplattieren.
Ich verlinke auf der Webseite dieser Folge noch ein oder zwei Videos zu diesem Verfahren und hoffe, dass dieser kleine Ausblick über den Tellerrand der Vorlesung hinaus euch genauso viel Spaß gemacht hat, wie mir.
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Ach, und übrigens: Alfred Nobel hat das Dynamit ganz in der Nähe der HAW Hamburg, nämlich in Geesthacht, erfunden. Dort, wo jetzt das Helmholtz-Zentrum liegt.