018-Fertigungstechnik in Film und Fernsehen - Teil 1

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Transkript

Es ist mal wieder Zeit für ein wenig Fertigungstechnik.

Vor einiger Zeit bin ich im Internet auf ein Videoformat gestoßen, in dem Fachleute beurteilen, wie realistisch einige Szenen in Kinofilmen und Fernsehserien dargestellt sind. Dabei geht es vorrangig um Tresorknacker, Geiselbefreiungen und Kampfsport. Dafür gibt es dann meistens eine Bewertung von 0 (da ist jemandem die Phantasie durchgegangen) bis 10 (akkurat dargestellt).
In Anbetracht der Tatsache, dass das alles langweilig und viel zu brutal ist, nehme ich mir heute die Darstellung von Fertigungstechnik und Produktionsstätten vor. In den Shownotes auf der Homepage dieser Episode gibt es dann die Links zu Videoschnipseln der betreffenden Szenen.

Ich beginne mit dem Musikfilm „8 Mile“ aus dem Jahr 2002, in dem ein Teil des Lebens des jungen Rappers Rabbit, gespielt von Eminem, gezeigt wird.
In einer Szene wird er bei seinem Aushilfsjob in einem Presswerk gezeigt. Sie beginnt mit einer Einstellung auf ein geöffnetes Presswerkzeug, in dem ein tiefgezogenes Karosserieteil liegt. Das Werkzeug schließt sich, es werden mehrere Blechstücke abgeschnitten und fallen laut scheppernd zu Boden. Im Anschluss entnehmen der junge Mann und sein Arbeitskollege einige Abfallstücke und das beschnittene Teil, um es auf einen Tisch vor der nächsten Presse zu legen, wo schon die Kollegen darauf warten, es dem nächsten Arbeitsschritt zuzuführen. Man sieht im Hintergrund noch weitere Maschinen mit laufenden Schwungrädern, woran wir erkennen, dass es sich um Pressenstraßen aus Kurbelpressen handelt. In der Zwischenzeit haben die Arbeiter auf der anderen Seite der Presse das Werkzeug mit einem neuen Bauteil bestückt und nach einem abstimmenden Ho-Ruf drücken die beiden gleichzeitig ihre Zweihandbetätigungen. Im Anschluss sieht man noch den nächsten Hub der Presse.
Dann begutachte ich mal, was man so sieht: Die Maschinen, Bauteile und Werkzeuge in diesem Ausschnitt sind echt. Die Arbeitenden tragen schnittfeste Handschuhe, lange Ärmel und Schutzbrillen. Letztere würde ich dem amerikanischen Versicherungswesen zuschreiben, denn herumfliegende Späne oder Splitter erwarte ich hier nicht. Gehörschutz in Form von Mickymäusen sieht man nicht. Die An- oder Abwesenheit von Ohrstöpseln kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Die Zweihandbetätigungen und die Art der Auslösung sind zeitgemäß. Ich frage mich allerdings, wie sichergestellt ist, dass die Kollegen, die auf der Rückseite die Presse bestücken, ihre Finger nicht in der Maschine haben. Lichtvorhänge oder Zweihandbetätigungen auf der Rückseite sind nicht zu sehen.
Die Arbeit in dieser Fabrik entspricht meiner Meinung nach sehr realistisch der dargestellten Zeit in den 90er Jahren. Ich habe schon ein paar Presswerke in Deutschland besucht und arbeite ja auch selbst mit Pressen.
Ein kleiner Wermutstropfen fällt mir allerdings beim zweiten Hub auf. Dort sieht man, dass einige Abfallteile etwas unmotiviert über Rutschen auf den Fußboden vor der Maschine fallen. Dort müssten die Teile entweder in Kisten, Förderern oder durch Öffnungen im Fußboden in der Entsorgung landen. Ich vermute, dass hier drehbedingte Gründe vorlagen.
Mein Fazit: Diese Szene ist wirklich realistisch. Ich vergebe 10 von 10 Punkten.

Damit komme ich zum nächsten Film. Es geht um die teilanimierte Actionkomödie Scooby-Doo ebenfalls aus dem Jahr 2002.
In der Eröffnungsszene begleiten wir die Mystery Inc. in die Spielzeugfabrik Wow-O Toys. In verschiedenen Einstellungen können wir uns einen Überblick über die Produktionsstätte verschaffen. Es liegen leere Paletten herum, es gibt metallene, kunststoffene und hölzerne Fässer. An meterhohen Trockengestellen, die anscheinend aus Balsaholz bestehen, hängen Spielzeugrohlinge. Puppenteile stehen in Gitterboxen herum, offene und bedeckelte Kessel dampfen und es gibt (natürlich) ein langes Förderband.
Auf der Jagd nach oder der Flucht vor dem Luna-Geist startet Velma das Förderband und damit die ganze Produktionsstraße, wodurch zunächst einmal ein Holzeimer mit Öl umkippt. Die Fabrik muss wirklich fluchtartig verlassen worden sein. Velma fällt dann von einer Traverse. Da war wohl eine Halterung der Sicherheitskette defekt. Scooby und Shaggy geraten auf der Flucht auf ein herumliegendes Skateboard. Von 5S hat in diesem Produktionsbetrieb wohl noch nie jemand etwas gehört. Von Arbeitssicherheit allerdings auch nicht. Kein einziger Bereich mit beweglichen Werkzeugteilen ist in irgendeiner Form mit Absperrungen, Schutzgittern oder -scheiben gesichert. Nicht einmal Lichtschranken sind vorhanden. Von einem Kurbeltrieb bewegte Spritzguss- oder Blasformen sind nicht farblich als bewegliche Teile gekennzeichnet. Die frei drehenden Messerklingen, die auf keiner Seite irgendwie vor Eingriff geschützt sind, lassen jeder Fachkraft für Arbeitssicherheit die Haare zu Berge stehen. Gabelstaplerfahrer Klaus ist schon fast ein Waisenknabe dagegen.
Am Ende des Förderbandes wartet dann noch der obligatorische Pressenstempel. Dieser ist zwar vorbildlich mit gelb-schwarzen Streifen gekennzeichnet, ist aber dafür übermäßig lang, hat kein irgendwie geartetes Werkzeug und letztendlich auch nicht viel Kraft.
Velma ist wohl auch keine ausgebildete Kranführerin, denn der Kranhaken pendelt sehr stark, was Shaggy und Scooby allerdings rettet und den Luna-Geist lahmlegt.
Ich denke, meine Ansicht zu dieser Darstellung von Produktionsanlagen ist einigermaßen klar geworden. Ich vergebe 3 von 10 Punkten, denn es gibt sicherlich auf der Welt noch Produktionsanlagen, in denen es zumindest im Hinblick auf Arbeitssicherheit ähnlich aussehen dürfte.

Zu guter Letzt habe ich noch eineinhalb Filme zur Bewertung. Eineinhalb? Jepp – aufgepasst:
Im Film „Ganz oder gar nicht“ von 1997 planen ein paar arbeitslose Arbeiter aus Sheffield, England durch einen Stripdance-Auftritt einen großen Haufen Geld zu verdienen. Da sie aber leider nicht tanzen können, schauen sie sich als Inspiration den Film Flashdance an.
Dave äußert großspurig seine Hoffnung, dass die Hauptdarstellerin besser tanzen als schweißen könne, denn die Gasmischung sei zu fett und enthalte zu viel Acetylen.

Kommen wir also zur Eröffnungssequenz von Flashdance aus 1983. Die autodidaktische Tänzerin Alex gespielt von Jennifer Beals radelt zu ihrer Arbeit, sie ist Schweißerin. Man sieht große Maschinen, Rohre und Funken. Bei der ersten Szene, wo Alex beim Schweißen gezeigt wird, sieht man, wie sie recht uninspiriert mit einer Elektrode auf einem Stück Blech herumklopft. Die Funken sprühen. Ich gestehe, dass ich trotz meiner Ausbildung zum Maschinenbaumechaniker das Lichtbogenhandschweißen nicht gemeistert habe. Bei mir dürfte es also ziemlich genau so aussehen, wenn ich versuchen würde, zwei Bleche mit diesem Verfahren zu verbinden. Vielleicht sollte ich doch mal den Schweißkurs bei den Kolleg:innen vom Institut für Werkstoffkunde und Schweißtechnik belegen.
Beim nächsten Schweißer, der gezeigt wird, sieht es schon deutlich professioneller aus.
In ihrer zweiten Szene sieht man auch, wie die Elektrode am Blech festbrennt. Das passiert, wenn man nicht aufpasst.
Gegen Ende sieht man noch zwei Schweißer in großen Röhren sitzen, um darin zu schweißen. Das ist prinzipiell ok. Dass einer der beiden aber in einem Rohr sitzt, das auf dem des anderen ungesichert draufliegt, ist arbeitssicherheitstechnisch schon wieder arg bedenklich.
Ich komme zu meinem Fazit: Die gezeigte Ausrüstung ist echt, die Geräte sind angeschlossen und funktionieren, die Schweißhelme sind echt und werden korrekt getragen, die Arbeitssicherheit ist amerikanisch. Aber: Für eine angestellte Schweißerin reichen ihre Fähigkeiten dann doch nicht aus. Mehr als eine kurze Einweisung, wie man mit der Elektrode Funken schlägt, hat die Schauspielerin nicht erhalten. Darum hält sie ihren Kopfspiegel vermutlich auch so verkrampft fest.
Ich vergebe für die Eröffnungsszene von Flashdance 7 von 10 Punkten.

Doch zurück zu „Ganz oder gar nicht“: Wie ich eben erläutert habe, verwendet Jennifer Beals das Lichtbogenhandschweißen.
Bei diesem Verfahren wird keine Gasmischung aus Sauerstoff und Acetylen verwendet. Die benötigt man beim Autogenschweißen. Das ist etwas ganz anderes.
Jetzt ist die Frage, ob das Absicht ist und Dave hier zeigen soll, dass er eigentlich keine Ahnung vom Schweißen hat, oder ob die Texter hier einfach nicht aufgepasst haben. Es sollten verpflichtend Produktionsingenieur:innen zur Beratung beim Film hinzugezogen werden.
Für diese eine Szene in „Ganz oder gar nicht“ vergebe ich zwei von 10 Punkten, irgendjemand hat da keine Ahnung.
Vielleicht sollte ich mal jemanden vom IWS bitten, für unseren Podcast eine Episode über das Schweißen aufzunehmen.
Wenn Euch noch eine cooleFertigungs-Szene aus Film, Fernsehen oder Streamingdienst einfällt, die dringend mal einen Realitäts-check braucht, dann schreibt es uns unter info@fertigungstechnisch.hamburg
Wenn Ihr schon dabei seid, dürft ihr uns auch gerne ein paar Sternchen und Rezensionen bei Spotify oder anderen Podcastplattformen dalassen.

Und eine Frage zum Schluss: Sitze eigentlich nur ich in Transformers und frage mich, wie in aller Welt man diese Roboter vernünftig zusammenschrauben kann? Und dann scheinen die meisten ja auch noch Unikate zu sein.

8 Mile – Work Scene - www.youtube.com/watch
Scooby Doo – Opening Scene - www.youtube.com/watch
Flashdance – Opening Scene - youtu.be/yD8IIxEcJsU
The full Monty – Too much acetylene - www.youtube.com/watch

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers

Danke für die Expertise an Thomas Hilbrecht vom IWS der HAW Hamburg