023-Walzberechnungen

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik.

In Episode 15 habe ich mich in die Tiefen der Ordnungsnummern der Walzverfahren vorgewagt. Für die Berechnungen gehen wir an der HAW Hamburg in der Grundlagenvorlesung Fertigungstechnik vom vermeintlich einfachsten Fall aus, dem Flach-Längswalzen von Vollkörpern. Wir vereinfachen noch weiter auf einen flachen, rechteckigen Querschnitt und es werden nur die Walzen betrachtet, die direkt mit dem Werkstück in Kontakt stehen.

Ich stelle mich also neben ein Walzgerüst und schaue auf die kreisförmigen Seitenflächen der Walzen. Von links kommt ein quaderförmiges Rohteil, etwas flacher als breit und deutlich länger mit einer konstanten Geschwindigkeit angerollt. Der Spalt zwischen den Walzen ist etwas niedriger als das Rohteil. Ich gehe davon aus, dass das Werkstück hinter dem Durchgang diese Höhe annimmt. Die Rückfederung ignoriere ich. So ein Durchgang durch die Walzen wird übrigens Stich genannt.

Es entsteht auch noch ein Winkel zwischen der Verbindungslinie der Walzenachsen und dem Punkt, an dem die Walze die Rohteilvorderkante berührt. Diesen nennt man Walzeneingriffswinkel αE.

Wenn nun die Vorderkanten des Rohteils die Walzen berühren treten zwei Kräfte auf:

  • Die Reibkraft entsteht dadurch, dass die drehenden Walzen über das Werkstück rutschen. Wir wollen, dass das Werkstück eingezogen wird, daher betrachten wir die Haftreibung. Und von der Haftreibung betrachten wir nur den horizontalen Anteil. Die horizontale Reibkraft ist also das Produkt aus dem Reibkoeffizienten μ, der Normalkraft, mit der das Werkstück in Richtung Walzenachse drückt, und cos α .
  • Der horizontale Anteil der Normalkraft sorgt dafür, dass ich das Rohteil nicht einfach so durch den Walzspalt schieben kann, sozusagen die Gegenkraft zum Vorschub. Dieser ergibt sich aus dem Produkt aus Normalkraft und sin α.

Das Rohteil wird in den Spalt eingezogen, wenn der Reibkraftanteil größer ist, als der Normalkraftanteil. Also setzen wir die Terme gleich und formen nach αE um, dann bekommen wir die Greif- oder Einzugsbedingung: αE ist kleiner gleich dem arctan μ.

Dies ist eine reine geometrische Situation in Abhängigkeit vom Reibbeiwert. Kenne ich diesen und den Durchmesser meiner Walze, kann ich ausrechnen, wie groß meine maximal mögliche Stichabnahme Δhmax ist: 2 mal Radius mal (1- cos α)

Im Arbeitsumfeld würde ich die Stichfolge nun aufwändig anhand der Maschinenleistung auslegen. Das bewahre ich mir aber für eine spätere Folge auf. Für die Grundlagen der Fertigungstechnik wird häufig eine konstante Stichfolge angenommen. Für die notwendige Anzahl der Stiche teile ich nun also die Höhendifferenz von Roh- und Fertigteil durch die maximale Stichabnahme und Runde das Ergebnis auf, da es keine halben Stiche geben soll.

Die tatsächliche Abnahme kann ich dann ermitteln, indem ich die Höhendifferenz durch die Anzahl der Stiche teile. Dies ist das Maß, auf das ich den Walzspalt einstelle. Hierbei müsste ich nun eigentlich die Rückfederung des Werkstücks und die Durchbiegung der Walzen beachten, aber auch das hebe ich mir für eine andere Episode auf. Dann erzähle ich von Walzgerüsten mit bis zu 20 Walzen und der sogenannten Bombierung.

 

Jetzt ist ein guter Zeitpunkt um sich anzuschauen, was im Walzspalt passiert: Das Rohteil wird von der Reibung an der Walze in den Walzspalt gezogen und dabei zusammengedrückt. Beim Umformen gilt ja immer noch die Volumenkonstanz. Wenn die Höhe des Werkstücks abnimmt und angenommenerweise die Breite gleich bleibt, dann muss sich die Länge vergrößern. Das bedeutet hier aber auch gleichzeitig, dass die Geschwindigkeit zunimmt.

Mit noch mehr Geometrie kann man feststellen, dass es auf dem Weg vom Einzug zur Endhöhe nur einen Punkt gibt, an dem die Umfangsgeschwindigkeit der Walzen gleich der Vorschubgeschwindigkeit ist. Davor und danach haben wir Schlupf. Dieser sorgt dafür, dass in der Umformzone zusätzlich zu den radialen auch noch tangentiale Druckspannungen in Richtung dieses Punktes wirken. Flach-Längswalzen ist folglich ein Druckumformverfahren mit zweiachsigem Spannungszustand in der Umformzone.

 

Mit der tatsächlichen Höhenabnahme kann ich die sogenannte Stichfolge aufschreiben. Und für jeden Durchgang ergibt sich dann die Auslaufgeschwindigkeit des Walzgutes. Nehmen wir mal an, dass die zuführende Rollenbahn immer dieselbe Geschwindigkeit hat, dann ergibt sich aus dem allseits beliebten Dreisatz, dass die Auslaufgeschwindigkeit um das Verhältnis aus Endhöhe zur Anfangshöhe schneller ist.

Achtung: Bei konstanter Stichabnahme verändern sich die Verhältnisse, so dass hier öfter gerechnet werden muss.

Soweit zu den einfachsten Berechnungen beim Flach-Längswalzen, ich wiederhole noch einmal kurz:

  • Um überhaupt walzen zu können muss die Einzugsbedingung erfüllt sein, die sich aus dem Reibbeiwert berechnet.
  • Damit kann ich mit dem Walzendurchmesser und etwas Geometrie die maximale Stichabnahme bestimmen.
  • Diese legt die notwendige Anzahl der Stiche und so die tatsächliche Stichabnahme und die Stichfolge fest.
  • Aus dem Verhältnis der Höhen ergibt sich dann die Auslaufgeschwindigkeit.

Ich fürchte, dass ich diesmal einen Formelzettel auf die Homepage stellen sollte. 

 

Zum Abschluss hätte ich dann noch ein paar Anmerkungen:

  • Zum einen freuen wir uns wirklich über jede Bewertung bei einer der gängigen Podcastplattformen. So bekommt die Fertigungstechnik mehr Sichtbarkeit. Lasst uns gerne viele Sternchen da.
  • Zum anderen darf man uns unter info (at) fertigungstechnisch (dot) hamburg auch konstruktives Feedback schicken.
  • Und zum Schluss nehmen wir unter eben dieser Mailadresse oder bei Twitter unter @fertigungHH auch gerne Vorschläge für neue Episoden entgegen. Welches Fertigungsverfahren sollen wir hier demnächst vorstellen?

 

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers

Shownotes

Formelzettel