026-Hartbearbeitung

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Transkript

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer von FERTIGUNGSTECHNISCH.hamburg!

Willkommen zu einer weiteren Folge unserer Podcastreihe, wo es wieder heißt:

Es ist einmal wieder Zeit für Fertigungstechnik!

Und neben der Zeit spielen in der Fertigungstechnik auch Kosten und Bauteilqualität eine wichtige Rolle!

Wir haben das schon oft in den vorhergehenden Folgen erwähnt.

In den Folgen 19 und 21 hatten wir vor allem so einiges gehört über unsere Vorstellungen, was Bauteilqualität bedeutet und wie Randzoneneigenschaften dies beeinflussen können.

Kurze Erinnerung: das, was wir über den Fertigungsprozess durch Kräfte und Temperaturen in den Werkstoff des Werkstücks einbringen, wird sich dort in Veränderungen der Bauteilgeometrie, der Oberflächenbeschaffenheit und der physikalischen Eigenschaften auswirken.

Aber die Beschaffenheit des Werkstoffs vor der Bearbeitung wirkt sich zuvor als beeinflussende Größen auf die Kräfte und Temperaturen aus. Und die Auswahl bestimmter Werkstoffe treffen wir eben zuvor in der Konstruktion, weil wir beispielsweise hohe Festigkeiten, hohe Oberflächengüten und eine lange Lebensdauer unserer Bauteile und Komponenten fordern.

Dafür gibt es bei den Stählen Werkstoffzustände höherer Härte, die wir in der Fertigungstechnik dann spanend bearbeitet sollen.

Klassischerweise führt uns aus einem zuvor hergestellten Halbzeug eine Prozessfolge des Drehens, Fräsen und Bohrens, je nachdem, wie unsere Bauteile aussehen sollen, mit darauffolgender Wärmebehandlung durch Härten und Anlassen, also Vergüten, und anschließendem Schleifen zum Ergebnis, um die genannten Anforderungen an unsere Bauteile zu erfüllen.

Wir sehen aber schon: das ist eine ganze Reihe von Fertigungsschritten, die normalerweise mehrere, meist viele unterschiedliche Maschinen und Anlagen benötigt. Und genau das geht dann schon einmal mit höheren Kosten einher.

Wir fragen uns: können wir eine solche Prozessfolge irgendwie weniger zeit- und kostenintensiv gestalten?

Die Antwort ist: ja, es geht, es ist machbar!

Wenn wir nämlich gehärtete bzw. vergütete Stahlwerkstoffe direkt, ohne nachfolgende Schleifbearbeitung zerspanen, um ein einbaufertiges Bauteil zu erhalten.

Wenn wir gehärtete Bauteile bearbeiten, sei es durch Schleifen oder durch Hartdrehen sprechen wir im Allgemeinen von Hartbearbeitung.

Schleifen ist dann Hartbearbeitung mit geometrisch unbestimmter Schneide.

Hartdrehen, Hartfräsen und Hartbohren ist Hartbearbeitung mit geometrisch bestimmter Schneide.

Die Einteilung der DIN 8580, darunter der DIN8589, lässt grüßen!

Repräsentativ wollen wir uns in den kommenden Minuten mit dem Hartdrehen als grundlegendem Verfahren mit geometrisch bestimmter Schneide und teilweise auch im Vergleich zum Schleifen beschäftigen.

Warum also Hartdrehen?

Weil wir bei der Bearbeitung von Stahlwerkstoffen mit Rockwell-Härten in einem Bereich von 48-62 HRC oder höher mit geometrisch bestimmter Schneide Zeit und Kosten einsparen können.

Und das hilft uns bei vielen Bauteilen, vor allem in der Antriebstechnik, aber auch bei der Herstellung hydraulischer Komponenten.

Zahnräder, Wellen, Ventilsitze, Kolben, Zylinderlaufbuchsen, Gleichlaufgelenke. Auf diese Bauteile können wir allgemein im Maschinenbau und für mobile Fortbewegungsmittel aller Art, auch, oder trotz zunehmenden Trend zur Elektromobilität, sicher nicht verzichten. Und Wälzlager als weiteres Beispiel, können wir überall, wo sich etwas bewegt, immer gut gebrauchen.

Der Hinweis gleich hier an der Stelle: natürlich müssen wir anhand unserer technologischen und wirtschaftlichen Kriterien immer prüfen, ob in unserem Fall das ein oder andere Verfahren Vorteile mit sich bringt und die Anforderungen an unsere Bauteilfunktionen erfüllt werden.

Gleichwohl zeigen einige Berichte von Zeit- und Kosteneinsparungen von bis zu 70% durch das Hartdrehen gegenüber dem Schleifen. Das muss also etwas daran sein, das Hartdrehen als Verfahren in breiter Anwendung in der Industrie erfolgreich einsetzbar ist.

Kleines Beispiel vorab: wir wollen einen eher langen Wellenabsatz mit einigen Zentimetern Breite bearbeiten.

Sind wir da nicht doch schneller, wenn wir das ganze im Einstich mit der ganzen Breite des Eingriffs einer Schleifscheibe bearbeiten, also mit dem Außenrund-Umfangs-Querschleifen? Oft ja.

Beim Drehen müssen wir im Normalfall mit dem Werkzeug entlang der Werkstückkontur verfahren, wie beim Außenrund-Umfangs-Längsschleifen im Übrigen auch. Und das kostet vor allem bei längeren Wellenabschnitten, die wir bearbeiten wollen, mehr Zeit als direkt quer zum Werkstück hin zu arbeiten. Bei kürzeren Konturen sieht da die Welt vielleicht schon etwas anders aus. Wie wir gleich sehen, spielt die bearbeitete Fläche eine Rolle.

Anhand technologischer Eingangsparameter der Prozesse kann man das gut festmachen, nämlich der sogenannten Zeitflächenrate, die aus den charakteristischen Schnittparametern ermittelt werden kann und bei großen Flächen eher für das Schleifen spricht. Aber, wenn wir eben weniger flächenintensive Bauteilbereiche bearbeiten wollen, machen dann niedrigere Investitionskosten, kurze Durchlaufzeiten und eine hohe Flexibilität im Vergleich zum Schleifen eben das Hartdrehen attraktiv.

Beim Hartdrehen ist das eben so, dass die Zeitflächenrate das Produkt aus Vorschub und Schnittgeschwindigkeit darstellt. Und da beginnen, allen Vorteilen des Hartdrehens zum Trotz die Dinge, denen wir beim Hartdrehen ein wenig mehr Beachtung schenken müssen.

Wenn wir eben diese Zeitflächenrate erhöhen wollen, brauchen wir große Vorschübe und Schnittgeschwindigkeiten.

Aber halt: wir wollen doch Oberflächenqualitäten in Schleifqualität, also möglichst in einem Bereich für Rautiefen kleiner 5 µm herstellen.

Ja, die theoretische Rauheit lehrte es uns schon. Das geht vor allem bei kleinen Vorschüben und großen Eckenradien.

Und hier kommt unser Werkzeug ins Spiel: bei kleinen Schnitttiefen, die brauchen wir dann übrigens auch, um die Werkzeugschneide im harten Werkstoff nicht durch zu hohe Kräfte zu beanspruchen, und großen Eckenradien ist unser Spanungsquerschnitt alles andere als rechteckig, wie wir ihn klassisch z.B. bei einer Schruppbearbeitung kennen.

Die Werkzeugschneide ist also nur in einem kleinen Bereich des Eckenradius entlang eines Bogens im Eingriff. Dadurch steigen die spezifischen, also auf die Eingriffslänge der Schneide bezogenen Beanspruchungen des Werkzeugs an.

Wenn wir unsere Kräfte betrachten, ergibt sich daraus, dass die Zerspankraftkomponenten sich in unserer von der Größe her üblichen Reihenfolge, erst die Schnittkraft Fc am größten, danach die Vorschubkraft Ff und zuletzt die Passivkraft Fp, umsortieren.

Die Passivkraft Fp wird jetzt nämlich zur dominanten, also größten Zerspankraftkomponente.

Das hat zwei Folgen:

1. unser Werkstück wird durch höhere Passivkräfte stärker abgedrängt, als wir es aus der konventionellen Drehbearbeitung kennen

2. die Passivkraft wirkt quasi wie eine Normalkraft auf die Bauteiloberfläche, die sich mit der Schnittgeschwindigkeit beim Drehen voran bewegt, und das im Kontakt über nur eine kleine Fläche an der Freifläche des Werkzeugs, die von der Größe unserer Verschleißmarke abhängt. Der Werkzeugverschleiß scheint also beim Hartdrehen eine wichtige Rolle zu spielen.

Wir können uns vorstellen. Da entsteht eine große Menge Reibung, die in Form von Wärme über diese Kontaktfläche in das Werkstück eingebracht wird.

Bei der Spanbildung entsteht im harten Werkstoff zudem auch viel Wärme, die über den Span abgeführt wird. Beim Blick in eine Hartdrehmaschine fasziniert immer auch wieder ein bisweilen deutlicher Funkenflug, wenn wir trocken, d.h. ohne Kühlschmierstoff arbeiten. Und da sind wir bei einem weiteren Vorteil des Hartdrehens angelangt: wir können sehr oft trocken bearbeiten, was Kühlschmierstoffkosten reduziert, Entsorgung und Belastung der Umwelt sowie vor allem auch des Maschinenbedienpersonals vermeidet!

Erkennen kann man aber so: beim Hartdrehen haben wir mit großen Kräften und hohen Temperaturen zu rechnen. Und diese beanspruchen unsere Werkzeuge, vor allem den Verschleiß und somit die Standzeit, aber vor allem auch unsere Bauteile in der Genauigkeit und den physikalischen Eigenschaften der Werkstückrandzone. Da haben wir sie wieder, die Randzone aus Folge 21!

In den letzten Jahrzehnten konnten wir bei Thema Schneidstoffe große Fortschritte beobachten. Erst das hat den Einsatz des Hartdrehens als mit dem Schleifen vergleichbares Verfahren ermöglicht. Verglichen mit der Verwendung von Hartmetallen, unbeschichtet oder auch beschichtet, haben Mischkeramiken auf Basis vor allem von Aluminiumoxid mit Titancarbid sowie polykristallines kubisches Bornitrid die Weichen für einen erfolgreichen und wirtschaftlichen Einsatz des Hartdrehens gestellt. Damit verbundene höhere Werkzeugkosten müssen sich am Ende aber immer wirtschaftlich rechnen und viele Beispiele zeigen, dass dies auch möglich ist.

Mit dem Verschleiß der Werkzeuge hängt aber immer eines zusammen: wir müssen beim Hartdrehen immer wieder auf den Werkzeugverschleiß und dessen Einfluss auf die Kräfte und die thermische Belastung des Bauteils in der Randzone achten.

Tun wir das entsprechend nicht, kann das zu ungewollten Änderungen in der Randzone des Werkstücks führen:

Gefügeumwandlungen, in Form von Neuhärtungszonen, die die Grundhärte des Werkstoffs in wenigen Mikrometern Tiefe der Randschicht übersteigen, um danach in weiterem zweistelligen Mikrometer Abstand von der Bauteiloberfläche stärker abzufallen, den sogenannten Anlasszonen. Dazu kommen in diesen Bereichen wechselnde Eigenspannungszustände von Zug- und Druckeigenspannungen. Dies ist umso ausgeprägter, je mehr der Werkzeugverschleiß beim Hartdrehen zunimmt. Gleichzeitig steigen die Kräfte, also hier vor allem die Passivkräfte, wie wir bereits gehört haben und damit die Gefahr der Werkstückabdrängung, was zu Ungenauigkeiten in Maß, Form und Lage führen kann.

Das stellt auch hohe Anforderungen an die verwendeten Maschinen. Zwar ist Hartdrehen auf konventionellen Drehmaschinen möglich. Soll es aber einmal genauer werden, wir also die Anforderungen an die Rauheit und Maßgenauigkeit wie beim Schleifen an untere Grenzen schrauben, so müssen wir angepasste Maschinenkonzepte mit hohen Steifigkeiten und großer Dämpfung in Gestell, Führungen und Antrieben verwenden.

In der weiteren Folge der Bauteilbeeinflussung durch Kräfte und Temperaturen können im Werkstück, je nach Anwendungsfall und Bauteilverwendung Beeinträchtigungen der Wälz- und Schwingfestigkeit der Bauteile auftreten. Zurückzuführen ist das immer auf die oben beschriebenen Veränderungen in der Bauteilrandzone. So viel sei dazu als Einstieg gesagt. Und als Rückblick zu einigen allgemeinen Zusammenhängen können wir da wieder auf die beiden Folgen zur „Bauteilqualität“ und der „Randzone“ zurückgreifen. Die vorherrschenden Randbedingungen und Erkenntnisse speziell beim Hartdrehen dazu sind spannend, aber sehr zahlreich und haben daher keinen weiteren Platz in unserer heutigen kurzen Folge.

Am Ende ein paar leicht verdauliche Fakten zum Hartdrehen, aber ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit, wir verstehen es als Richtwerte zur Orientierung für den Einsatz des Hartdrehens:

Zur erreichbaren Bauteilqualität:

  • Oberflächengüten < 5 µm
  • Qualitäten IT5-IT6

Übliche Schnittparameter
(je nach Werkstoffhärte, Schneidstoff und Anforderungen an Genauigkeiten und Oberflächengüte):

  • Schnittgeschwindigkeit vc = 150-250 m/min
  • Vorschub f = 0,05-0,4 mm
  • Schnitttiefe ap = 0,05-0,5 mm

Darüber hinaus bietet das Hartdrehen viele weitere, spannende Aspekte. In einer weiteren Folge werden wir dazu noch Weiteres hören, wie wir die verfahrensbedingten Nachteile des Hartdrehens, vor allem auf die Randzoneneigenschaften, durch eine Kombination mit geeigneten Nachbehandlungsverfahren ausgleichen können, wenn wir aus Gründen der Wirtschaftlichkeit die qualitätsbedingten Anforderungen mit dem Hartdrehen allein nicht ganz erfüllen.

Wenn es heißt:

Es ist einmal wieder Zeit für Fertigungstechnik!

Bis dahin!

geschrieben von Prof. Christian Müller
eingesprochen von Prof. Christian Müller