038-Faserverbundwerkstoffe

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Hallo - es ist wieder Zeit für etwas Fertigungstechnik

Ich bin Jens Telgkamp, Professor am IPT der HAW Hamburg. Heute geht es um das Thema Faserverbundwerkstoffe.

Ich stelle mir vor, dass jetzt der oder die eine oder andere sich die Ohrhörer aus den Ohren reißt und laut aufschreit: „Warum Faserverbundwerkstoffe – wir sind doch Maschinenbauer!“ Ich warte also einen Moment, bis die Teile wieder in den Ohren sind, und erkläre meine Sicht der Dinge: Faserverbundwerkstoffe sind längst nicht mehr nur für Flugzeugbauer, sondern auch für Maschinenbauer und Bauingenieure interessant. Brücken aus glasfaserverstärktem Kunststoff? Maschinenbetten aus Composite Prepreg? Verwindungssteife Maschinengehäuse aus Textilen Composite Materialien? Gibt’s alles schon, und jeweils aus gutem Grund.

Erstmal zur Definition: Faserverbundwerkstoffe gehören zu den Verbundwerkstoffen, und die sind – etwas vereinfacht – definiert als zwei oder mehr Materialien, die in Kombination ein neues Material bilden, wobei das Ziel ist, dass die Kombination bessere Materialeigenschaften zeigt als jede der einzelnen Komponenten. Das ist alles ziemlich allgemein, man kann sich aufgrund dieser Definition noch ziemlich viele Werkstoffkombinationen vorstellen. Deshalb konzentrieren wir und im Weiteren auf die technisch wohl wichtigste Kombination – und das ist die Kombination von Lang- oder Endlosfasern mit einer umgebenden Kunststoffmatrix.

Diese Materialien werden als Composites bezeichnet. Je nachdem, mit wem ihr euch so herumtreibt, werden die Menschen in eurer Umgebung den Begriff vermutlich „Compositt“, „Composiit“ oder „Composeit“ aussprechen, wobei diejenigen, die „Compositt“ sagen, sich mit denjenigen, die „Composiit“ sagen einig sind darüber, dass diejenigen, die „Composeit“ sagen, keine Ahnung haben.

Was ist denn nun die Idee hinter diesen „Composeits“? „Composeits?“ < hüsteln > Auf geht‘s: Die Fasern sind normalerweise Kohlenstofffasern, Glasfasern oder Aramidfasern (auch Kevlar genannt). Wobei jetzt diejenigen, die „Kohlenstofffasern“ sagen, sich sicher sind, dass diejenigen, die „Kohlefasern“ sagen, keine Ahnung haben, und so ist es auch. „Kohlenstofffasern“ ist richtig. Die Fasern sind eingebettet in eine Matrix aus Kunststoff. Klassischerweise sind das ausgehärtete Harze, also Duroplaste. In letzter Zeit treten aber auch mehr und mehr die thermoplastischen Matrixmaterialien auf den Plan.

Wie kann es eigentlich sein, dass die Kombination zweier Materialien bessere Eigenschaften hat als die Einzelkomponenten? Vereinfacht stelle ich mir das so vor: Was die Faser wirklich gut kann, ist Steifigkeit und Festigkeit in ihrer Längsrichtung. Diese Eigenschaften könnten aber bei einem Strukturlosen Faserbündel nicht wirklich genutzt werden, speziell im Bereich der Druck- und Schubspannungen. Wer schonmal versucht hat, einen Bindfaden längs auf Druck zu belasten, oder ein flexibles Abschleppseil als Schubstange zu benutzen… Ich denke es ist klargeworden, dass man flexible dünne Fasern nicht gut auf Druck oder Biegung belasten kann. Wenn ich den Fasern eine klare Struktur gebe, in dem ich sie in ein Matrixmaterial einbette, welches die Fasern an Ort und Stelle hält, dann wird die Last weitgehend durch die Fasern übertragen. Müsste die Matrix dann nicht auch die hohen Lasten mittragen? Nicht unbedingt. Ein kleines Gedankenexperiment: Wenn ich zwei verschieden steife Federn parallelschalte und gemeinsam um den gleichen Betrag ausdehne, dann kann ich in der steiferen Feder die höhere Last messen. Im Composite Verbund übernimmt die Faser die Rolle der steiferen Feder: Die Kräfte werden weitgehend von den Fasern aufgenommen, während die Matrix nur parallel die Bewegung mitmacht, aber selbst nicht so stark belastet wird. Die Faser bleibt aber an ihrem Ort im Werkstoffverbund und kann ihre Stärke ausspielen. Es läuft durch die hohe Steifigkeit und Festigkeit (welche gerichtet sein kann, dazu später mehr) auf Leichtbaustrukturen hinaus!

Seid ihr nicht eigentlich ein Fertigungstechnik Podcast? Wie bekomme ich denn nun Faser und Matrixmaterial zusammen? Es gibt verschiedene Prozesse. Viele von Euch haben als Composite Bauteil eventuell den Heckspoiler eines Formel 1 Renners oder eine große Komponente aus dem Flugzeugbau, etwa eine Flügelschale, vor Augen. Bei solchen flächigen Gebilden werden oft sogenannte Prepregs genutzt und auf ein Tool, ein formgebendes Werkzeug, abgelegt. Prepreg steht für „pre-impregnated“, also mit Harz vorgetränkte Fasermatten. Die Fasern sind also schon von Harz (dem Matrixmaterial) umgeben, wenn sie abgelegt werden. Das Ganze fühlt sich in etwa an wie ein doppelseitiges Klebeband. Die Fasern liegen entweder einfach alle nebeneinander (UD Prepreg für „Unidirektional“), oder sie liegen als textiles Halbzeug, also Gewebe, vor. Das Ablegen erfolgt entweder per Hand („Handlayup“) oder mittels eines Roboters, der dann wahrscheinlich als Tapeleger bzw. Tape layer bezeichnet wird.

Fertig? Nein! Das Harz ist ja bislang noch nicht ausgehärtet. Das Laminat kommt als nächstes mitsamt dem Werkzeug, auf (oder in) dem es liegt, in einen Autoklaven. Das ist eine Art Backofen für solche Bauteile. Die Temperatur im Autoklaven löst die Aushärtereaktion des Matrixmaterials aus, der Überdruck (in Verbindung mit Vakuumfolien über dem Bauteil) sorgt für die nötige Verdichtung und Porenfreiheit des späteren Laminats. Nach diesem Prozess ist das Bauteil fertig, bis auf die eventuell nötigen Nacharbeiten.

Außer dem beschriebenen Tapelayer-und-Autoklav-Prozess gibt es übrigens eine Fülle anderer Prozesse zur Herstellung von Composite Bauteilen. Um nur mal ein Beispiel zu nennen: wenn wir uns anstelle des flächig ausgedehnten Formel-1 Heckspoilers im obigen Beispiel nun ein eher schuhkartonförmiges kompaktes Bauteil vorstellen – beispielsweise einen massiven Lasteinleitungsbeschlag für ein Maschinenbett – dann kommt möglicherweise das Resin Transfer Molding (kurz RTM oder Harzinjektionsverfahren) zum Einsatz. Die Fasern werden jetzt nicht mehr auf einem Werkzeug abgelegt, sondern als Textiles Gebinde in ein formgebendes Werkzeug eingelegt, das einem Werkzeug für Kunststoff-Spritzguss ähnelt. Das Harz wird dann durch Überdruck an der einen Seite, mit zusätzlicher Hilfe von Unterdruck an der anderen Seite, in das Werkzeug injiziert, so dass möglichst das ganze Volumen mit Harz und Fasern gefüllt ist. Die Aushärtung erfolgt dann im selben Werkzeug, durch Aufheizen.

Warum all das Gerödel? Ist das Bauteil denn nun besser als ein vergleichbares Metallbauteil? Das kommt drauf an. Wenn ein*e Designer*in mit viel Sachkunde am Werk war, dann besteht zumindest Hoffnung auf ein besseres, also z.B. steiferes und dabei leichteres, Bauteil. Erstmal muss man sagen, dass die Eigenschaften grundsätzlich abweichen. Zum Beispiel die Anisotropie: metallische Werkstoffe haben (zumindest in erster Näherung) ähnliche Eigenschaften in allen Raumrichtungen. Selbst wenn es Abweichungen gibt, zum Beispiel in und senkrecht zur Walzrichtung eines Bleches, sind diese Abweichungen meist nicht riesig. Beim Composite Teil ist das anders: die Materialeigenschaften entstehen ja erst beim Kombinieren der einzelnen Faserlagen (jede Lage in ihrer Ausrichtung) zu einem Bauteil. Schon bei einem einfachen/ebenen Bauteil kann ich als Konstrukteur das Laminat entweder so designen, dass sich – wie beim Metall – ähnliche Eigenschaften in alle Raumrichtungen ergeben, oder eben so, dass eine Raumrichtung die doppelte oder sogar dreifache Steifigkeit hat wie die anderen. Und diese Steifigkeit, welche dann nur noch in einer Richtung erreicht wird, ist schließlich wahrscheinlich dann deutlich höher als die Steifigkeit, welche von einem vergleichbaren Metallteil in allen Richtungen geschafft wird. Fasergerechtes Konstruieren ist da Stichwort. Mit anderen Worten: das Material mit seinen Materialeigenschaften entsteht gleichzeitig mit dem Bauteil, und das alles wird schon im Konstruktions- und Berechnungsbüro festgelegt. Wenn die Konstruktion gut mit den anderen Disziplinen zusammenarbeitet, die Belastung und das Tragverhalten des Bauteiles gut verstanden sind, und vor allem wenn alle ordentliche Kenntnisse der anzuwendenden Fertigungstechnik haben, dann entsteht vermutlich ein Composite Bauteil, das besser ist als ein vergleichbares Metallbauteil. Wenn auch möglicherweise teurer, dass kann leicht passieren.

Ein Fun Fact zum Schluss: ein langjähriger Airbus Kollege, Metallflugzeugbauer alter Schule, selbst etwas kritisch gegenüber den neueren Composite Materialien, hat immer die Abkürzung „TBR“ benutzt, wenn er über Composite Materialien redete. Er hat dann nur drauf gewartet, dass endlich jemand fragt: Wofür steht eigentlich „TBR“? Antwort „TBR – That Black Rubbish“. Er war eben Metallflugzeugbauer alter Schule, ich teile seinen Pessimismus nicht.

geschrieben von Prof. Telgkamp
eingesprochen von Prof. Telgkamp