039-Plausibilität

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Hallo, es ist mal wieder Zeit für etwas Fertigungstechnik…

Ich bin Mauricio Porath und ich bin seit September 2022 Professor am IPT der HAW Hamburg. Ich komme aus Brasilien, wo ich auch schon Dozent war.

In meinen Statistik- und Messtechnikkursen in Brasilien habe ich meinen Studenten immer empfohlen, die Plausibilität ihrer Ergebnisse zu überprüfen, d.h., einen zweiten Blick darauf zu werfen, und checken, ob das Ergebnis einer Übung oder einer Prüfungsaufgabe in der Praxis Sinn macht oder nicht.

Dennoch hat es in den Statistikprüfungen immer jemand geschafft, eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 100 % oder sogar eine negative Wahrscheinlichkeit zu errechnen.

Ich glaube, man kann sich meine Freude beim Korrigieren vorstellen...

Die Plausibilitätskontrolle ist ein äußerst wichtiges Instrument eines Ingenieurs, da sie grobe Fehler bei der Entwicklung eines Produkts oder Auslegung eines Fertigungsprozesses verhindern kann.

Für die Studierenden der Ingenieurwissenschaften kann sie auch dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit zu vermindern, dass sie die Klausur im nächsten Semester wiederholen müssen.

Einen negativen Betrag wird diese Wahrscheinlichkeit aber nie haben.

Um die Plausibilität eines Ergebnisses zu prüfen, muss man zunächst die erwartete Größenordnung der betreffenden Größe kennen, d. h. welche Werte für diese Ergebnisse als "normal" angesehen werden können.

Dadurch trainieren wir unser Bauchgefühl.

In der Fertigungstechnik gibt es eine große Anzahl von Größen, die von Interesse sind: beim Umformen die Stempelkraft, die Fließspannung, der Umformgrad und die Umformarbeit;

beim Zerspanen die Zerspankraft die Schnittleistung, die Werkzeugwinkel, die Schnittgeschwindigkeit, die Schnitttiefe und der Vorschub.

Für die Plausibilitätskontrolle reicht es aus, eine ungefähre Vorstellung von dem Wert zu haben, der für die betreffende Menge zu erwarten ist. Ein paar Beispiele...

Die Leistung von Elektromotoren, die in zerspanenden Werkzeugmaschinen eingesetzt werden, liegt in der Größenordnung von einigen Dutzend Kilowatt.

Eine Leistung von 20, 50 oder sogar 80 kW für sehr große Maschinen ist sinnvoll, aber wenn jemand zum Schluss kommt, dass die für eine bestimmte Drehbearbeitung erforderliche Leistung 100 MW beträgt, sollte man misstrauisch sein...

außerdem, wer würde bei den derzeitigen Strompreisen die Stromrechnung für diesem Motor bezahlen?

Und was ist, wenn jemand zum Schluss kommt, dass 8 W genug sind?

Diese Leistung würde gerade mal ausreichen, um eine LED-Lampe zum Leuchten zu bringen.

Kann also auch nicht sein…

Wenn man sich für Autos interessiert, oder wie ich für Motorräder, muss man manchmal nur an die Leistung eines Verbrennungsmotors denken.

Ein Motor eines mittelgroßen PKWs hat eine Leistung von 80, 90, 100 kW. Bei Motorrädern wären dies schon fast Leistungen von sehr schnellen Maschinen.

Und wenn du altmodisch bist und wie ich nur in PS denken kannst: ein PS entspricht etwa ¾ eines kW.

Um die Plausibilität von Werten für mechanische Arbeit zu kontrollieren, z. B. in der Umformtechnik, lohnt es sich manchmal, den Wert in Leistung umzurechnen.

Ich meine, man weiß ja, dass die mechanische Leistung die Geschwindigkeit ist, mit der mechanische Arbeit verrichtet wird.

Schätzt man, in wie vielen Sekunden eine bestimmte Arbeit verrichtet werden sollte, und teilt man den Wert der Arbeit in Joule (Newtonmeter) durch diese Zeit, erhält man eine durchschnittliche Leistung in Watt.

Natürlich ist das eine sehr grobe Schätzung, aber das ist die Idee....

Für die Plausibilitätsanalyse von Kraftwerten teile ich gerne den Wert in Newton durch 10.

Das wäre ungefähr der Wert der Masse in kg eines Objekts, das eine Gewichtskraft erzeugen würde, die dieser Kraft entspricht.

Eine Kraft von 100 kN, also 100.000 N, entspricht demnach, in etwa, der Gewichtskraft eines Reisebusses mit 10.000 kg (10 Tonnen).

Bei mechanischer Spannung und Temperatur ist es hilfreich, den ungefähren Wert einiger Werkstoffkennwerte zu kennen.

Der Schmelzpunkt von Eisen liegt in der Größenordnung von 1500°C, der von Aluminium bei etwa 700°C, Kupfer liegt irgendwo dazwischen.

Das heißt, wenn du berechnest, dass ein Stück Stahl, nach einem Kaltumformungsprozess, 5000°C heiß sein wird, wäre das eine Katastrophe...

Industriell relevante Metalle haben Zugfestigkeiten von einigen hundert MPa, d.h., einigen hundert N/mm2, aber nicht viele hunderttausende MPa.

Wenn bei dir eine mechanische Spannung von etlichen GPa rauskommt, ist dieses Ergebnis ein starker Kandidat für den Mülleimer.

Wenn du wissen möchtest, wie sich ein MPa anfühlt, halte einen Stift an beiden Enden und ziehe ihn so fest du kannst.

Dein Stift ist jetzt mit einer Zugspannung von ein paar MPa belastet.

Übrigens, eine Wahrscheinlichkeit ist immer ein Wert zwischen 0 und 1, oder 0 und 100%.

 

geschrieben von Mauricio de Campos Porath
eingesprochen von Mauricio de Campos Porath