040-Zuschnitt beim Tiefziehen

Die Episode

Folge herunterladen

Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik.
Diesmal möchte ich wieder einen Themenwunsch aus der Studierendenschaft erfüllen: Zuschnittsermittlung beim Tiefziehen.
In den Episoden 1 und 30 habe ich die Grundlagen des Tiefziehens erklärt. Wer da noch Nachholbedarf hat, hier kurz pausieren, nachhören und wieder dazukommen.
Ich hatte in der ersten Folge schon kurz angesprochen, dass beim Tiefziehen ja die Volumenkonstanz der Umformtechnik gilt. Wenn dann noch normgerecht die Blechdicke konstant bleibt, landen wir bei einer Flächenkonstanz. Das flache Blech muss also die gleiche Oberfläche haben, wie die Oberfläche des Napfes. Fertig.
Naja. Schauen wir uns einmal den allereinfachsten Fall an: Ein kreisrunder Napf ohne Flansch. Dieser besteht aus einer Bodenfläche (ein Kreis) und der Mantelfläche (Umfang mal Höhe). Den Bodenradius vernachlässigen wir zunächst. Diese Flächen müssen also identisch zu der Ausgangskreisfläche sein. Setzt man also beide Formeln gleich kommt man zu folgender Berechnung:
Der Rondendurchmesser ist gleich der Wurzel aus der Summe von Napfdurchmesser zum Quadrat     plus 4 mal Napfdurchmesser mal Napfhöhe
Ich hoffe, ich verlinke einen Formelzettel in den Shownotes.
Für einen kreisförmigen Napf mit Flansch gibt es auch noch solch eine Lösung. Aber sobald bei rotationssymmetrischen Näpfen größere Radien ins Spiel kommen, funktioniert es so nicht mehr. Dann braucht man die erste Guldin‘sche Regel: Der Flächeninhalt einer Mantelfläche berechnet sich aus der Länge der Profillinie multipliziert mit dem Umfang ihres Schwerpunktkreises. Danke, reicht erstmal.
Für diverse Standardnäpfe finden sich die Formeln in den einschlägigen Tabellenbüchern.
Leider sind viele Bauteile, die man mittels Tiefziehen herstellen möchte, nicht rotationssymmetrisch. Das fängt beim Spülbecken an und zieht sich über die Ölwanne am Motor bis zur Schutzhaube. Dann wird es kompliziert.
Ich widme mich wieder dem einfachstmöglichen, gerade eben nicht rotationssymmetrischen Teil. Ich nehme einen kreisrunden Napf ohne Flansch und mit nur kleinem Bodenradius, säge ihn quasi mittig durch und setze ein gerades Stück dazwischen. Der Blick von oben zeigt also ein Rechteck mit zwei abschließenden Halbkreisen. Diese 3 Teile betrachte ich auch erst einmal getrennt voneinander.
Wie man den Rondendurchmesser (oder hier eher den Radius) der Halbkreise berechnet, wissen wir ja schon. Durch die Charakteristischen Dreiecke und die daraus entstehenden Druck- und Zugspannungen bzw. die Flächenkonstanz ist der angesetzte Radius etwas kleiner als die Napfhöhe. Bei den „geraden“ Wandstücken am geraden Zwischenstück, muss ich die Wand ja eigentlich nur umbiegen, um sie aufzustellen. Hier trage ich also die Napfhöhe an.
Nun kann ich aber nicht einfach einen Sprung in die umgebende Kontur einbauen, denn durch die tangentialen Druckspannungen möchte das Material gerne in die ebene Fläche ausweichen. Da habe ich ja nur die Zugspannungen.
An dieser Stelle wird es jetzt unsauber. Je nach Methode kann ich die Kontur durch Geraden oder Kreisbögen angleichen. In der Rundung brauche ich also am Übergang etwas mehr Material, im geraden Teil kann ich das am Rand etwas einsparen. Und je komplexer mein Bauteil wird, desto schwieriger wird das Ganze. Hier wird zum einen viel mit Erfahrung gearbeitet. Zum anderen gibt es eine einfache aber nicht sehr nachhaltige Lösung: Da ich das Fließen nicht bis ins letzte Detail beschreiben und vorhersagen kann, nehme ich etwas mehr Material und schneide den überstehenden Rest einfach ab.
Und dann wäre da noch die Ermittlung des Zuschnitts über die sogenannte Finite-Elemente-Methode oder auch FEM. Das kann Jens Telgkamp aber eigentlich viel besser erklären als ich. Jens? JENS??? Wo stecken die Profs, wenn man mal einen braucht?
Ganz kurz zusammengefasst:
Ich teile mein Bauteil in lauter kleine Stücke ein, das sogenannte Mesh. Die endlich großen (also finiten) Elemente sind bei ebener Darstellung Dreiecke oder Rechtecke, bei Volumenkörpern Quader oder Tetraeder. Dadurch bekomme ich über das zu beobachtende Verhalten (Spannungen, Bewegungen, Kräfte, Wärmeenergieflüsse) Gleichungssysteme, die der Computer dann wiederum mit entsprechendem Aufwand lösen kann. Das Problem bei der Umformtechnik ist leider, dass die Gleichungen nicht-linear sind, was den Aufwand noch weiter erhöht.
Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden. (Woher kenne ich diesen Satz nur?)
Ich fasse kurz zusammen: Für rotationssymmetrische Näpfe mit rechten Winkeln und kleinen Radien gibt es schöne mathematische Lösungen. Für rotationssymmetrische Bauteile mit Schrägen und großen Radien kann ich mir Lösungen aus Einzelteilen und Schwerpunktkreisen zusammenbasteln. Für nicht rotationssymmetrische Teile muss ich unsauber oder mit Erfahrung arbeiten oder einen Computer um Hilfe bitten.
Ich hoffe, dass diese Episode das Tiefziehen wieder etwas verständlicher gemacht hat, und freue mich über weitere Themenvorschläge bei Twitter unter @fertigunghh, neu bei Mastodon unter @fertigungstechnisch@podcasts.social oder einfach per Mail an info@fertigungstechnisch.hamburg
Ach und so nebenbei: Die Guldin‘schen Regeln waren schon in der Antike bekannt und wurden unter anderem von Pappos von Alexandria beschrieben. Damals wurden sie noch als baryzentrische oder zentrobarische Regeln bezeichnet. (Quelle: Wikipedia)


geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers