041-Schwindungsdiagramme

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik. Diesmal möchte ich wieder einen Themenwunsch erfüllen und mich mit der Schwindung beim Gießen auseinandersetzen.

Dazu liefere ich noch einmal eine Definition und Einordnung: Die Gießverfahren gehören in die Hauptgruppe „Urformen“. Das bedeutet, dass ich Zusammenhalt schaffe, indem aus einem formlosen Stoff ein geometrisch bestimmter Körper entsteht. Darunter gehören sie in die Gruppe „Urformen aus dem flüssigen Zustand“, es ist also vorher flüssig und nicht gasförmig, breiig oder ein Pulver.

Darunter gibt es wieder so viele verschiedene Verfahren mit so vielen verschiedenen Werkstoffen, so dass ich heute die Themen Dauerform/verlorene Form, Sand-, Schleuder-, Schwerkraft-, Strang- und Kokillenguss weglasse. Das ist wieder eine eigene Episode (oder mehrere).

Heute soll es also um die Schwindung gehen, das ist die Volumenänderung des Gießgutes von der flüssigen Phase bis zum Festkörper bei Raumtemperatur.

Ich fange also im flüssigen Zustand an. Wer schon einmal ein altes Flüssigkeitsthermometer mit Quecksilber- oder Alkoholfüllung gesehen hat, kann vermutlich einsehen, dass Flüssigkeiten sich abhängig von ihrer Temperatur ausdehnen oder zusammenziehen. Ganz grob und ohne auf Spezialfälle zu achten kann man annehmen, dass sich mit zunehmender Wärme (also Energie) die Atome oder Moleküle mehr bewegen und dafür mehr Platz brauchen. Je wärmer umso niedriger die Dichte, umso höher das Volumen. Es ist ja auch beim derzeitigen anthropogenen Klimawandel eines der Probleme, dass sich das Wasser in den Ozeanen durch die Erwärmung ausdehnt und niedrigliegende Küsten bedroht.

Wenn ich meine Schmelze also ein Stück über die Schmelztemperatur hinaus erwärme, damit sie z. B. nicht direkt beim ersten Kontakt mit der Form gleich im Anguss erstarrt, dann muss ich davon ausgehen, dass alleine durch die Abkühlung der Schmelze schon das Volumen abnimmt. Dies ist die „flüssige Schwindung“.

Gelangt die Schmelze zur Schmelztemperatur, beginnt die Erstarrung. Hier kann man, ebenfalls stark vereinfacht, wieder annehmen, dass in Kristalliten angeordnete Atome weniger Platz einnehmen, als frei bewegliche. Bei der Erstarrungsschwindung nimmt das Volumen also mehr oder weniger sprunghaft ab. Dies dauert zwar einige  Zeit, die Temperatur der Schmelze ändert sich dabei aber theoretisch nicht, solange es sich um reine Stoffe handelt. Legierungen, also Mehrstoffsysteme, erstarren hingegen nicht bei einer fixen Temperatur, sondern über einen gewissen Temperaturbereich hinweg. Dazu später mehr.

Das uns bekannte Wasser ist hier leider nicht hilfreich, da es eine sogenannte Dichteanomalie zeigt. Seine geringste Dichte hat es bei ca. 4 °C es, dehnt sich also beim Erstarren aus. Daher sollte man im Winter keine vollen Getränkeflaschen im Auto vergessen oder im Sommer in den Gefrierschrank tun. Das könnte eine gewisse Sauerei ergeben, wenn die Behälter platzen.

Als letztes in der Reihe folgt dann die sogenannte kubische Schwindung im festen Zustand. Das sollten die meisten von Überlandleitungen her kennen. Im Sommer hängen sie sehr weit durch, da sie sich mit der Temperatur ausgedehnt haben, wohingegen sie im Winter etwas straffer gespannt erscheinen. Was man hier nicht sieht, ist, dass sich auch der Querschnitt ändert, da auch die Höhe und Breite sich ändern, kubisch halt. Auch hier nehmen wir der Einfachheit halber an, dass der Zusammenhang je höher die Temperatur, umso größer das Volumen gilt.

Jetzt erstelle ich also ein sogenanntes Schwindungsdiagramm für eine nicht eutektische Legierung. Beim Schwindungsdiagramm werden auf der x-Achse die Temperatur und auf der y-Achse das Volumen aufgetragen. Wir starten oben rechts bei der Gießtemperatur der Schmelze und laufen in einer leicht nach unten durchhängenden Kurve in Richtung Koordinatenursprung, mit sinkender Temperatur nimmt das Flüssigkeitsvolumen ab. Bei der Liquidustemperatur beginnt die Erstarrung, die ersten Kristallite bilden sich in der Schmelze. Hier ist ein Knick in der Kurve nach unten, da das Volumen nun schneller abnimmt. Dies geht weiter bis zur Solidustemperatur, dem Punkt, an dem die letzte Schmelze erstarrt ist. Hier ist der nächste Knick, denn die Volumenabnahme ist jetzt wieder verlangsamt, es beginnt die reine kubische Schwindung im festen Zustand.

Bei reinen Metallen oder den sogenannten eutektischen Legierungen schrumpft das Erstarrungsintervall zwischen Solidus- und Liquidustemperatur auf den Erstarrungspunkt der Schmelztemperatur zusammen, die Linie verläuft hier senkrecht.

Aber was bedeutet das jetzt für meinen Gießprozess?

Hier fange ich bei der kubischen Schwindung an, ihr ist gefühlt am einfachsten zu begegnen. Im Prinzip muss ich nur bestimmen, um wieviel größer mein Bauteil wird, wenn ich es von der Benutzungstemperatur auf die Schmelztemperatur erwärme. Auf diese Geometrie muss ich meine Gussform bzw. mein Urmodell fertigen.

Um Fehler durch die Erstarrungsschwindung bzw. die flüssige Schwindung zu vermeiden, muss ich dafür sorgen, dass an alle Stellen, wo Material erstarrt bzw. abkühlt, noch flüssige Schmelze nachfließen kann. Dies geschieht durch gussgerechte Konstruktion bzw. ein entsprechend ausgelegtes Angusssystem aus Steigern, Speisern und unter Beachtung der Heuvers’schen Kreise. Diese bekommen aber mal wieder eine eigene Episode. Einige Punkte spricht Prof. Müller auch in der Episode über Gussfehler an.

Kurz zusammengefasst: Die gesamte Schwindung von der Gießtemperatur bis zur Raumtemperatur nennt man Lunkerung. Diese ist die Summe der flüssigen Schwindung, der Erstarrungsschwindung und der kubischen Schwindung.

Ach und übrigens: Die meisten dürften einen Gegenstand kennen, der nahezu keine Volumenänderung aufgrund einer Temperaturänderung im festen Zustand erfährt: Die Glaskeramik beim Kochfeld. Hier wäre Wärmeausdehnung fatal.

 

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers