044-Trennen

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik.
Da ich spontan Zeit für eine Podcastepisode habe, nehme ich doch mal wieder meine Lieblingsnorm zur Hand und stöbere in einer Hauptgruppe, die ich noch nicht ins Mikro gesprochen habe. „Umformen“ und „Stoffeigenschaft ändern“ gibt es schon, zum Gießen habe ich heute keine Lust, also bleibt mein Blick an den Trennverfahren hängen. Diese Gruppe finde ich persönlich sehr lustig, da sich hier das eine oder andere Verfahren versteckt, das man in dieser Norm bzw. im Bereich der Fertigungstechnik gar nicht erwartet. Ihr werdet sehen…    ...bzw. hören.
Kurze Wiederholung: Die DIN 8580 gliedert die Fertigungsverfahren nach den Merkmalen „Schaffen bzw. Ändern der Form“ und „Ändern der Eigenschaften“ sowie dem Zusammenhalt. Der Zusammenhalt kann geschaffen, beibehalten, vermehrt oder vermindert werden.
In der Hauptgruppe „Trennen“ wird die Form eines festen Körpers verändert und dabei der Zusammenhalt (zumindest lokal) verringert.
Ich plaudere jetzt mal aus dem Nähkästchen: Mein Schreibprozess hängt an dieser Stelle, weil ich bei der Recherche immer mehr Details entdecke, ins Stöbern gerate und richtig Lust auf noch mehr Fertigungstechnik bekomme. Aber jetzt auf zu den Gruppen, Untergruppen und Verfahren.
Die erste Gruppe ist das Zerteilen. Ich zitiere dazu die DIN 8588 sinngemäß: „Zerteilen ist das mechanische Trennen von Werkstücken ohne Entstehen von formlosem Stoff, also auch ohne Späne.“ Ohne lange nachzudenken nenne ich ohne Tiefe die im Haushalt gebräuchlichen Untergruppen und Verfahrensbeispiele: Spalten (Holz hacken), Reißen und Brechen. Dann ist da noch das Beißschneiden, das könnte man von Seitenschneidern und Kneifzangen kennen. Beim Messerschneiden möchte ich dann aber in die Tiefe gehen. Bei diesen Verfahren habe ich EINE Schneide, die in das Werkstück bewegt wird und damit dort den Zusammenhalt aufhebt. Dies kann entweder in einem Hub erfolgen, das sollten die meisten mit einem scharfen Messer und z. B. einer Gurke schaffen. Beim mehrhubig fortschreitenden Messerschneiden wird das Messer zusätzlich hin und her bewegt. Das tritt vielleicht beim Abschneiden einer Scheibe Brot auf. Dann wäre da noch das kontinuierliche Messerschneiden. Davon gibt es wieder unterschiedliche Verfahren, je nachdem wie Werkzeug und Werkstück sich zueinander bewegen. Die Brotschneidemaschine mit dem runden, drehenden Messer wäre ein Beispiel, das Schälen von dünnen Holzschichten vom Baumstamm, um ein Furnier zu bekommen, ist die nächste. Wenn dieses ewig lange, dünne Furnier dann in Streifen geschnitten wird, indem es an senkrechtstehenden Klingen vorbeigeführt wird, haben wir ein weiteres.
Als letzte große Untergruppe ist da noch das Scherschneiden, wobei das bekannte Schneiden von Papier mit einer Schere in die Untergruppe 3.1.1.2 „mehrhubig fortschreitendes Scherschneiden“ gehört.
Aus praktischen Gründen wird das Scherschneiden gerne mit zur Umformtechnik gezählt, da Blechbearbeitung ohne diese Verfahren gar nicht möglich ist. In einer Umformwerkstatt findet sich eigentlich immer auch eine Schlagschere. In den großen Werkzeugen, in denen in mehreren Prozessschritten in Pressen Blechteile entstehen, sind immer auch Schneidwerkzeuge enthalten. Zum anderen ist Scherschneiden bei Metallen eigentlich Umformen bis zum Bruch.
Bei mir im Labor schneiden wir an einer Rondenschere zwischen zwei Schneidwalzen mittels kontinuierlichem Scherschneiden die kreisrunden Platinen für die Tiefziehversuche aus.
Damit wären wir bei einer weiteren Begriffsklärung, die sich weiter hinten in der DIN 8588 versteckt.
Ausschneiden heißt es, wenn ich aus einer zusammenhängenden Fläche etwas heraustrenne und das ausgeschnittene Teil behalte, siehe unsere Ronden. Lochen heißt es, wenn ich die restliche Fläche behalte, und Zerschneiden, wenn ich beide Teile benutzen möchte. Beschneiden ist, wenn ich keine geschlossene Schnittkontur habe. Einschneiden und Abschneiden erklären sich von selbst.
Ausschneiden und Lochen werden gerne auch als Stanzen bezeichnet. Ich habe aber gerade in der Norm gelernt, dass dieser Begriff bitte nicht synonym für das Schneiden verwendet werden soll. Tja nun.
Die beiden Hauptgruppen „Spanen mit geometrisch bestimmter Schneide“ (Drehen, Fräsen, Bohren und so) und „Spanen mit geometrisch unbestimmter Schneide“ (Schleifen und Konsorten) lasse ich links liegen. Wobei mein Blick in der letzteren Gruppe beim Gleitspanen hängen bleibt. Das Gleitspanen, vielen auch unter der Markenbezeichnung Trowalisieren bekannt, wird zumeist zum Entgraten von kleinen bis mittelgroßen Bauteilen in großen Stückzahlen verwendet, indem man die Werkstücke zusammen mit Wasser, einigen Zusätzen und Schleifkörpern wie runden Steinen, in eine große Trommel wirft und dort gut schüttelt und umrührt.
Die vierte Gruppe der Trennverfahren ist das Abtragen. Hier wird Material von einem Körper abgetragen, wobei der Abfall nicht in Form von Spänen vorliegt und keine Schneiden zum Einsatz kommen. Aus der Untergruppe „thermisches Abtragen“ kennt ihr schon die Funkenerosion aus einer früheren Podcastepisode. Aber auch das Formen von Styropor (oder sollte ich besser expandiertes Polystyrol sagen) mit einem sehr warmen Draht gehört in diese Gruppe, genauso wie das Brenn-, Laserstrahl- und Plasmaschneiden. Aus der Untergruppe „chemisches Abtragen“ kennt man vielleicht das Ätzen. Das elektrochemische Abtragen ist interessant, mir persönlich aber gerade zu speziell und zu kompliziert. Wenn ihr mich davon überzeugen wollt, dass einer von uns es trotzdem erklären soll, dann schreibt uns per Mail, bei Twitter oder Mastodon.
Jetzt kommen wir zu den Exoten: Ich beginne mit der Gruppe „Zerlegen“. Ich zitiere zunächst wieder die Norm DIN 8591: Zerlegen ist das „Trennen von zuvor gefügten Werkstücken geometrisch bestimmter Form oder das Trennen von Werkstücken geometrisch bestimmter Form und eingefülltem, formlosem Stoff, wobei keine Beschädigung der Werkstücke auftreten darf.“
Ich zitiere noch den Anfang der Anmerkung: „Zerlegen ist die Umkehrung des in DIN 8593-0 beschriebenen Fügens.“
Und das wird in dieser Norm penibel ausgeführt. Beispiele gefällig?
•    Abnehmen oder Abheben ist das Auseinandernehmen von Teilen, die durch Auflegen oder Aufsetzen gefügt worden sind, Dachziegel zum Beispiel.
•    Abschrauben ist das Lösen von Schraubverbindungen
•    Die Ordnungsnummer 3.5.3.5 gehört zum Lösen von Nagelverbindungen
•    Für Elektotechniker:innen sind Abisolieren und Ablöten interessant und
•    auch das Auftrennen von Nähten hat in der Untergruppe „Zerlegen textiler Verbindungen“ ein Zuhause.

Last but not least möchte ich noch die Gruppe Reinigen erwähnen, denn auch beim Reinigen wird der Zusammenhalt zwischen einer mehr oder weniger fest haftenden Schicht unerwünschter Stoffe und dem Körper aufgehoben. Ein paar Beispiele wären hier der Wasserstrahlhochdruckreiniger, das Abwischen oder Bürsten bzw. Fegen, Ausklopfen, Waschen oder Absaugen. Etwas wirkmächtiger kommen das Beizen, das Abflammen oder das thermische Zersetzen daher. Letzteres gibt es als Reinigungsfunktion inzwischen in vielen modernen Backöfen.
Interessant ist hier eine zusätzliche Unterteilung je nach Reinigungsziel. Hinlänglich bekannt ist derzeit das Desinfizieren. Dichter am Maschinenbau sind dann Entzundern, Entrosten oder Entfetten.
Ich hoffe, ich konnte euch ein paar interessante Einblicke in diese große Hauptgruppe bieten. Und denkt bitte daran: Wenn ich über eines oder mehrere der genannten Verfahren mehr erzählen soll, lasst es mich wissen.

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers