045-Legierungen

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Werkstoffkunde. Es geht auf Dauer nicht ohne sie. Auch viele Personen der Umformtechnik, wie z. B. der Tiefzieh-Siebel, waren von der Ausbildung her eigentlich Werkstoffkundler:innen.
Heute soll es um Legierungen gehen. Legierungen sind einfach in fast allen Bereichen der Fertigungstechnik anzutreffen, da nur in wenigen Fällen Reinstoffe verwendet werden. Schauen wir mal in ein altes Fachkundebuch hinein (Zitat): „Legierungen sind Gemische aus mehreren Metallen bzw. Gemische aus Metallen und Nichtmetallen.“
Schauen wir uns mal ein paar bekannte Legierungen an:
•    Messing:    Kupfer und Zink (beides Metalle)
•    Gelbgold:    Gold, Silber und Kupfer (alles Metalle)
•    Stahl:        Eisen und weniger als 2,06% Kohlenstoff (aha, Kohlenstoff ist kein Metall)
Metalle sind bei Raumtemperatur in den meisten Fällen ziemlich fest. Wie bekomme ich sie jetzt zusammen?
Metallplatten aufeinanderstapeln und zusammenpressen oder vielleicht Schmieden, wie bei damaszener Stahl? Nein, das zählt nicht. Eine Erweiterung der Definition sagt nämlich, dass ein Objekt, dass aus einer Legierung besteht, auf makroskopischer Ebene (also das, was ich mit bloßem Auge sehen kann) homogen sein muss.
Eine weitere Methode ist es, die Rohstoffe klein zu mahlen die Pulver zusammenzumischen, in eine Form zu pressen und dann zusammenzubacken. Das wäre dann Pulvermetallurgie und führt nicht zu dem, was wir gemeinhin unter einer Legierung verstehen. Sinterwerkstoffe nennt man auch Pseudolegierungen: sieht zwar so aus wie eine Legierung, ist es aber nicht.
Also machen wir die Rohstoffe flüssig. Beide Rohstoffe in einen Schmelztiegel, Wärme hinzufügen und was sieht man? Da die beiden Metalle voraussichtlich unterschiedliche Schmelzpunkte haben werden, wird zuerst das eine und dann das andere flüssig. Das merken wir uns für später.
Was macht ein Metall nun eigentlich zum Metall? Die Chemie sagt, dass alle Elemente, die sich im Periodensystem unterhalb und links der Diagonale von Bor bis Astat befinden, Metalle sind. Zudem lassen sich Metalle an ihrem Bindungscharakter erkennen: Die Valenzelektronen bewegen sich zwischen den positiv geladenen Atomrümpfen als Elektronengas oder -wolke und stabilisieren den Aufbau. Dies nennt sich die metallische Bindung. Da die Bindung zwischen den Atomrümpfen in alle Richtungen gleich stark ist, stellt sich eine regelmäßige Anordnung ein, die wie ein Gitter aussieht. Diese regelmäßigen Gitter nennen wir auch Kristalle. Das ist kurios, sieht nämlich von außen gar nicht danach aus.
Im Gegensatz dazu wechseln sich bei Salzkristallen im Gitter positiv geladene mit negativ geladenen Atomen ab, die sich gegenseitig anziehen. Dies nennt man die ionische Bindung. Bei Wassereis bildet sich der Kristall auf Basis der Van-der-Waals-Kräfte. Moleküle bilden sich mittels der kovalenten Bindung. Reicht jetzt.
Weitere Eigenschaften, die sich die meisten Metalle teilen, sind Farbe und Glanz, die Verformbarkeit sowie die gute elektrische und thermische Leitfähigkeit.
Metalle bilden also ein Kristallgitter. Die relevanten Gittertypen sind
•    kubisch raumzentriert - in der Elementarzelle (der kleinsten Einheit) sitzen die Atomrümpfe auf den Ecken eines Würfels und dazu in der Mitte des Würfels ein weiterer
•    kubisch flächenzentriert – ein Atom in jeder Würfelecke und in der Mitte jeder Quadratfläche ein weiteres
•    hexagonal – das Kristallgitter ist (vereinfacht) ein Prisma mit sechseckigen Grund- und Deckflächen, in deren Mitte auch jeweils ein Atom liegt.

Wenn nun also auch das höherschmelzende Metall komplett flüssig ist, bewegen sich die beiden Metallsorten idealerweise schön gleichmäßig verteilt in der Schmelze. Ich nehme die Wärmezufuhr weg und es beginnt irgendwann die Erstarrung. Und da wird es kompliziert. Ganz grob gesprochen können beim Abkühlen vier unterschiedliche Phänomene auftreten:
1.    Es entstehen Mischkristalle, das heißt, dass sich die beiden Elemente ein gemeinsames Kristallgitter teilen. Die Legierungsatome verteilen sich mehr oder weniger zufällig an den Gitterpositionen. Beispiel für solche Substitutionsmischkristalle wäre eine Legierung aus Kupfer und Nickel, die unter anderem für Münzen verwendet werden kann.
2.    Es entsteht ein Kristallgemisch: Beide Stoffe bilden eigene Kristallite (also Minikristalle), die möglichst gleichverteilt nebeneinander entstehen. Ein Beispiel wäre hier das klassische Lötzinn, eine Legierung aus Zinn und Blei.
3.    Es entstehen Mischkristalle und Kristallgemische nebeneinander. Dann wird es kompliziert. Ein Beispiel wäre hier eine Legierung aus Aluminium und Magnesium, die ich gerne in der Umformtechnik verwende.
4.    In ganz bestimmten Mischungsverhältnissen, manchmal aber auch über ganze Konzentrationsbereiche hinweg, bilden sich sogenannte intermetallische Phasen (Metall-Metall) oder intermediäre Kristalle (Metall-Nichtmetall). Die sind kompliziert, finden sich z. B. im Eisen-Kohlenstoff-Diagramm und müssen von jemand anderem erklärt werden.
Dazu kommt, dass diese vier Phänomene keine reine Lehre sind. Der Gitteraufbau, die Größen und Mengenverhältnisse der Kristalle und damit die Eigenschaften sind dann auch noch Abhängig vom Mischungsverhältnis der Legierungskomponenten.
Wenn ich anfangen würde, die vier Legierungsarten weiter auszuführen, würde ich zum einen die Zeitmarke von 10 Minuten sprengen und zum anderen würde das am Stück eh niemand verdauen können. Also plane ich für jede Art eine eigene Episode in den nächsten Wochen. Ich muss da vielleicht beim Institut für Werkstoffkunde und Schweißtechnik um Amtshilfe bitten. Hilfe!!!
Ich finde es beeindruckend, welche schier unermessliche Vielfalt an Werkstoffen durch Legierungsbildung für die Konstruktion von Maschinen und Produkten zur Verfügung steht. Wir Produktionstechniker:innen haben es bislang noch immer geschafft, mit allen Werkstoffen umzugehen: Sei es der hochfeste Stahl, den die Automobilisten gerne umgeformt haben wollen, oder das schmierig weiche Aluminiumhalbzeug, das auch mal zerspant werden will. Und wenn es sein muss, bekommen wir die Unterstützung der anderen Ingenieursdisziplinen. Wir sind nun mal ausgebildete Problemlöser:innen.
Ach und übrigens: Für die Astrophysik sind alle Elemente außer Wasserstoff und Helium Metalle.

geschrieben von Benjamin Remmers
fachliche Beratung: Martin Fiedler
eingesprochen von Benjamin Remmers