051-Größen beim Drehen

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik.

Bei einem Blick auf das Fertigungstechnik-Skript sind mir ein paar Folien aufgefallen, von denen ich Euch mal berichten möchte. Es geht diesmal um das Drehen. Zu den verschiedenen Drehverfahren hat David schon eine Episode veröffentlicht. Zu den verwirrenden Winkeln am Schneidkeil hat Prof. Müller schon etwas erzählt. Hört dort gerne noch einmal nach.

Ich skizziere einmal den Arbeitsraum von oben, in dem ich mich bewegen möchte. Dabei orientiere ich mich mal an einer konventionellen Drehmaschine:

Linker Hand befindet sich die Hauptspindel mit einem Spannfutter. Darin ist ein Drehteil z. B. ein doofer Zylinder als Rohteil eingespannt, den ich bearbeiten möchte. Der Drehmeißel befindet sich vor der Drehachse. Beim Außen-Längsdrehen wäre die Zustellung also nach vorne, der Vorschub nach links. Die Drehmeißelspitze stellen wir uns vorerst als Dreieck vor, wobei der Schneidenpunkt mit dem Spitzenradius, den wir vorerst ignorieren, am Werkstück anliegt, das wir schon etwas bearbeitet haben, wir sind also im Eingriff.

Die Schnitttiefe ap ist das Maß, von der alten bis zur neuen Kontur, also das Maß, wie weit die Drehmeißelspitze von der zylindrischen Oberfläche rechtwinklig in Richtung der Drehachse zugestellt wurde. Sie wird üblicherweise in mm angegeben.

Der Vorschub f (von englisch „feed“) ist die Strecke, die der Drehmeißel parallel zur Drehachse innerhalb einer Umdrehung der Spindel zurückgelegt hat. Er wird ebenfalls in mm angegeben. Benutzt bitte nicht „mm pro Umdrehung“, da „Umdrehung“ keine gültige Einheit ist und ihr dann Probleme bei den Rechenaufgaben bekommt.

Diese beiden Größen – Schnitttiefe und Vorschub – werden auch Schnittgrößen genannt.

Als Geometriegröße benötigen wir noch den Einstellwinkel kappa, dieser liegt zwischen Drehachse und Werkzeugschneide.

Nun komme ich zu den Spanungsgrößen:

Der Spanungsquerschnitt ist diejenige Fläche, die von der Werkzeugschneide während einer Umdrehung des Werkstücks überstrichen wird. In meinem Bespiel wäre es ein nach rechts geneigtes Parallelogramm. Die Grundseite entspricht dem Vorschub f und die Höhe der Schnitttiefe ap. Laut der Formel für die Fläche eines Parallelogramms ergibt sich aus Grundseite mal Höhe folglich ap mal f, eben Schnitttiefe mal Vorschub. Die Neigung des Parallelogramms entspricht Kappa.

Den Spanungsquerschnitt kann ich aber auch anders definieren. Dann nennt man die Länge des Abschnitts der Schneide, der Kontakt zum Werkstück hat (also die schräge Seite), die Spanungsbreite b. Die Höhe rechtwinklig dazu ist dann die Spanungsdicke h.

Den Zusammenhang zwischen den Schnittgrößen und den Spanungsgrößen kann ich über den Einstellwinkel Kappa bestimmen. Die Spanungsbreite ergibt sich aus dem Quotient aus Schnitttiefe geteilt durch sin(κ). Die Spanungsdicke ergibt sich aus dem Produkt von Vorschub und sin(κ).

Damit ist der Spanungsquerschnitt nicht nur Schnitttiefe mal Vorschub sondern auch gleich Spanungsbreite mal Spanungsdicke. Parallelogramm halt. Wer es genau wissen möchte, kann z. B. in die DIN 6580 schauen. Beim Plandrehen und Abstechdrehen gilt das ganze analog, nur ist die Schnitttiefe hier nach links eingezeichnet und der Vorschub geht zur Drehachse.

Zu beachten ist hierbei, dass ich einen Spanungsquerschnitt gleicher Größe sowohl mit kleinem Vorschub und großer Zustellung als auch mit großem Vorschub und kleiner Zustellung und allem dazwischen erreichen kann.

Je nachdem, wie die beiden Größen aber zueinander stehen, kann ich den Spanbildungsvorgang, die Zerspankräfte, den Verschleiß und die Spanform beeinflussen.

Aber wozu brauche ich die Schnitt- und Spanungsgrößen denn überhaupt? Zum Einen kann ich damit später die Zerspankräfte und -Leistung ausrechnen, zum Anderen helfen Sie mir bei Zeitberechnungen.

Eine weitere Größe habe ich euch vorhin allerdings noch angekündigt.

Wenn ich an den Schneidenpunkt an der Werkzeugspitze heranzoome, dann entdecke ich, dass die Spitze keine Ecke ist, sondern verrundet. Der Eckenradius rε wird üblicherweise ebenfalls in mm angegeben und liegt meistens zwischen 0,4mm und 2,4mm. Bewegt sich das Werkzeug beim Längsdrehen parallel zur Drehachse, ergibt sich eine Vorschubrille, die sich als Helix um die Mantelfläche windet. Wie ein Miniaturgewinde. Schaue ich mir die Kontur genau an, ist es eine Abfolge konkaver Kreisbogenabschnitte mit hervorstehenden Spitzen dazwischen. Die genaue Form wird durch Vorschub und Eckenradius definiert. Rein theoretisch kann ich also die Form und damit die Rauigkeit geometrisch exakt bestimmen. Diese Formel wäre aber viel zu kompliziert für Werkstatt, Podcast und Klausurstimmung. Da die Fertigungstechniker:innen aber nun mal pragmatische Menschen sind, gibt es eine hinreichend genaue Näherungsformel:

Die theoretische, kinematische Rautiefe ergibt sich aus dem Vorschub zum Quadrat geteilt durch 8 mal rε .

Zwei wichtige Anmerkungen dazu: Falls ihr bei dieser Berechnung eine Rautiefe kleiner als 16μm herausbekommt, dann vergesst ihr den Wert besser wieder, da hier die Auswirkungen des Schneidprozesses die Rauigkeit dominieren. Ansonsten bedenkt, dass es ein theoretischer Wert ist, der immer von Schneidprozess, Reibung und Verschleiß überlagert wird.

Über Rauigkeiten müsste hier vermutlich auch mal jemand sprechen. Heute nur so viel: Je geringer die Rautiefe, desto hübscher die Oberfläche, desto höher der tragende Anteil der Oberfläche und desto geringer die Reibung bei beweglichen Fügestellen.

Ein Schlaukopf könnte jetzt zwei Vorschläge machen: „Hey, der Vorschub steht auf dem Bruchstrich.  Ich mache den Vorschub ganz klein, dann wird meine Oberfläche besser.“ Ja, geht. Allerdings dauert mein Zerspanvorgang dann elendig lange.

„Der Eckenradius steht unterm Bruchstrich. Ich mache ihn ganz groß, dann wird meine Oberfläche super.“ Ja, geht theoretisch. Allerdings nimmt dann unter anderem die sogenannte Passivkraft zu, die den Drehmeißel radial nach außen drückt. Dadurch entstehen Schwingungen und damit sogenannte Rattermarken und es leidet die Maßhaltigkeit.

Üblicherweise verwendet man daher beim Schruppen große Eckenradien, die das Schneidwerkzeug stabilisieren, beim Schlichten verwendet man eher kleine Eckenradien und dafür auch einen geringeren Vorschub.

Ach und übrigens: Es wirkt nicht sehr professionell, wenn man im Schriftverkehr von Zerspannkräften und Spannungsgrößen schreibt.

 

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers