062-Walzgerüste

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik. Im vergangenen Semester hat eine Projektgruppe von Studierenden aus dem zweiten Semester für mich ein kleines Walzgerüst vom benachbarten Institut für Werkstoffkunde und Schweißtechnik ausgeliehen und in Betrieb genommen. Wir haben in unserem Lernort für digitale Umformtechnik jetzt also ein praktisches Anschauungsobjekt für ein weiteres Umformverfahren zur Verfügung.

Dieses freudige Ereignis nehme ich mal als Anlass, mir die Walzgerüste etwas genauer anzuschauen. Damit es nicht zu sehr ausufert, beschränke ich mich allerdings auf Walzgerüste für das Längs-Flachwalzen. Das Ziel soll also ein Blech sein.

Unser Miniatur-Walzgerüst mit Handkurbel ist ein sogenanntes Duo-Gerüst. Die formgebenden Elemente sind zwei (darum duo) zylindrische Walzen.

Dann gibt es den Walzenständer, das ist der Rahmen, der das Walzgerüst beisammen hält. Die Sohlplatte ist unten am Fundament befestigt oben ist das sogenannte Oberhaupt.

Im Walzenständer sind die Einbaustücke eingesetzt, in denen die Walzen gelagert sind. Das untere Einbaustück ist bei einem Duo-Walzwerk überwiegend fest eingebaut, das obere Einbaustück ist verschiebbar, um z. B. den Walzspalt einzustellen und die Walzdicke anzupassen. Die Mechanik, die dazu benötigt wird, heißt Anstellvorrichtung. Dazu kommen noch die Antriebe, heute meist Elektromotoren.

Die Basis ist also unser Duo-Walzwerk. Sie finden im Kunsthandwerk in dieser kleinen Form Verwendung. Die großen Geschwister werden im Walzwerk zum Vorwalzen verwendet, wo die Bänder noch dick und schmal sind.

In einer früheren Episode habe ich schon die Berechnung einer Stichfolge erläutert, wenn ich aufgrund z. B. der Greifbedingung mehr als einen Walzendurchgang (den Stich) benötige.

Bei einem Duo-Walzwerk habe ich jetzt drei Möglichkeiten:

  • Ich stelle mehrere Walzgerüste hintereinander, das ergibt allerdings hohe Investitionskosten.
  • Ich schaffe das Walzgut mechanisch wieder zurück auf die Einlaufseite – das tut man entweder über die Oberwalze hinweg oder durch den aufgefahrenen Walzspalt.
  • Ich ändere die Drehrichtung der Walzen – Da diese aber üblicherweise groß und schwer sind, ist das mit einem gewissen Energie- und Zeitaufwand verbunden. Der Name hierfür wäre Reversierwalzgerüst.

Schlaue Köpfe haben dann das Trio-Walzgerüst mit drei gleich großen Walzen erfunden. Über der oberen Walze wird eine weitere Walze angebracht. So kann die eine Walzrichtung durch den unteren, die andere durch den oberen Walzspalt erfolgen. Das hat man überwiegend genutzt, als man die Antriebsrichtung noch nicht auf einfachem Wege ändern konnte, z. B. bei Wind- oder Wasserkraft.

Wenn die Bänder immer dünner, die Werkstoffe immer fester und die Toleranzen immer kleiner werden, kommt man mit den reinen Arbeitswalzen nicht mehr aus. Die hohen Walzkräfte führen zu einer Durchbiegung der Walzen. Das führt dazu, dass unser Walzgut in der Mitte dicker ist, als am Rand, und das wird leider kein Kunde auf Dauer so mitmachen. Machen wir die Walzen einfach größer! Naja, leider geht der Walzendurchmesser positiv in die Formel für die Walzkraft ein. Größere Walzen führen also auch zu größeren Kräften.

Was nun? Ich nehme möglichst kleine Walzen (auch da gibt es Grenzen) und stütze sie gegen die Durchbiegung ab. Da die Walzen sich drehen, mache ich das mit Stützwalzen. So komme ich zum sogenannten Quarto-Walzgerüst. Die Arbeitswalzen sind recht klein, die Stützwalzen bis zu 3x größer. Am Blech direkt die Arbeitswalzen, senkrecht darüber und darunter die Stützwalzen.

Da auch diese sich elastisch durchbiegen, kann ich je nach Anwendung und Anforderungen eine der drei folgenden Maßnahmen ergreifen:

  • Ich verbiege die Stützwalzen durch externe Kräfte während des Walzens in die Gegenrichtung.
  • Ich kühle die Walzen an unterschiedlichen Stellen unterschiedlich stark, so dass sich eine Balligkeit einstellt.
  • Ich sorge für eine entsprechende Bombierung, d. h. ich stelle die Stützwalze schon ballig her. Unter Last ist die Arbeitsseite dann gerade. Allerdings funktioniert das nur bei konstanter Walzkraft.

Jetzt ist es leider so, dass es nicht nur die senkrecht wirkenden Walzkräfte gibt, sondern durch den Stich, die Momente und die Stöße auch seitlich wirkende Kräfte. Der Kontakt zwischen Arbeits- und Stützwalzen ist aber nur eine Linie, die bei solchen Belastungen nicht die optimale Form darstellt.

Ich stelle vor: Das Sechsrollenwalzwerk. Hier wird nun jede kleine Arbeitswalze von zwei großen Stützwalzen, die etwa 60° vor und hinter der Arbeitswalze angebracht sind gestützt. Und das Ende ist noch nicht erreicht. Eine übliche Bauform für die Herstellung hochfester, präziser, dünner Bleche ist das Zwanzigrollen-Walzgerüst nach Tadeusz Sendzimir.

Hierbei wird jede Arbeitswalze wie gehabt von zwei etwas größeren Stützwalzen eingerahmt. Diese beiden werden wiederum von 3 noch größeren Walzen abgestützt, die wiederum von 4 noch größeren Rollenpaketen abgestützt werden, die dann auch noch unabhängig voneinander, je nach aktueller Durchbiegung verstellt werden können. Man spricht auch von einer 1-2-3-4-Konfiguration je Seite. Tadeusz Sendzimir war ein polnischer Erfinder, der es in seinen 95 Lebensjahren immerhin auf 120 erteilte Patente gebracht hat und das ganz ohne Ingenieursabschluss.

So weit also erstmal zu den Walzgerüsten und den Walzen. Über die Armaturen, die man zum Walzen zusätzlich drumherum noch braucht, mache ich vielleicht mal eine eigene Episode.

Und zum Schluss noch etwas ganz anderes: Wenn wir mal von Temperaturen im Winter von -10°C und im Sommer von +30°C ausgehen, dann ist die Achterbahn Nessie im Sommer ganze 12mm höher.

 

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers