066-Sechskantmutter

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik. Und es bleibt mal spanlos.

Da einige der Urform-Episoden zu den erfolgreichsten des Podcasts gehören, möchte ich heute ein weiteres Urformverfahren vorstellen und sogar eines, das wir in unserem Institut für die Studierenden anbieten: Das Vakuumgießen.

Was braucht man beim Gießen als erstes? Eine Form. Schon nicht schlecht: Vor der Form steht das Urmodell. Die ursprüngliche Idee beim Vakuumgießen war es, einen Folgeprozess für das Rapid Prototyping zu haben. Dieses war gerade in den Anfangsjahren nur bei Einzelstücken, eben Prototypen, rentabel. Für eine Kleinserie lohnte es nicht. Das Spritzgusswerkzeug aus Metall ist aber erst für eine Serie oder Großserie lohnenswert.

Zurück zum Urmodell: Ursprünglich war es also ein 3D-gedrucktes Bauteil. Prinzipiell kann es aber auch jegliches anderes Bauteil sein, das ich kopieren möchte. Vielleicht ein zerbrochenes Kunststoffteil, das ich geklebt habe und nun aus einem Guss neu bekommen möchte.

An das Urmodell muss ich noch ein paar Extras anbauen: Ein Kunststoffstab mit einer Verbindung zur möglichst tiefstgelegensten Stelle, der später der Anguss wird; ein paar Kunststoffdrähte, die später die Funktion der Steiger (also für die vollständige Formfüllung und die Entlüftung der Reaktionsgase) übernehmen und eine geeignete Trennebene. Um später die Formteilung zu vereinfachen, wird dazu gerne ein Kragen aus dünnem Klebestreifen an das Urmodell angeformt. Falls Kerne für Bohrungen etc. benötigt werden, müssen auch sie eingelegt werden. Anguss- und Steigerstäbe müssen so ausgelegt sein, dass sie später aus der Form herausragen.

Dieses Urmodell hänge ich nun in einen oben offenen Behälter. Dies kann ein Holz- oder Kunststoffkasten sein oder der Joghurtbecher der Familienpackung von gestern. Zur Befestigung kann man z. B. den Anguss und die Steiger benutzen.

Jetzt ist fast alles vorbereitet, um die Form herzustellen.

Fast, denn wir benötigen ja noch den Formstoff. Der Formstoff ist beim Vakuumgießen üblicherweise ein Zweikomponentensilikon, also unvernetztes Silikon plus Vernetzer. Ich bestimme also überschlägig, wie viel Silikon ich benötige, und messe Grundstoff und Vernetzer möglichst genau zueinander ab. Nehmt bitte einen großen Behälter dafür, der Grund folgt später. Die beiden Komponenten muss ich nun möglichst schnell, möglichst gut verrühren, damit ich eine gleichmäßige Vernetzung bekomme. Ich empfehle, dabei Schutzbrille, Handschuhe und Schürze zu tragen.  Problem: Ich rühre jede Menge Luft in die Mischung hinein, die dann ich kleinen Bläschen im zähen Silikon verbleibt. Das macht zum einen die Oberfläche des Abgusses schlechter und zum anderen ist es auch ungünstig, wenn sich die Silikonform beim Abguss im Vakuum durch die Vergrößerung der Bläschen verformen würde.

Da ich für das Verfahren eh eine Vakuumkammer benötige, kann ich den Behälter ja einfach dort hinein stellen und die Luft abpumpen. Dabei dehnen sich die Gasbläschen durch den fehlenden Umgebungsdruck aus, steigen im Silikon nach oben und platzen an der Oberfläche. Damit das Ganze nicht „überkocht“, solltet Ihr den großen Behälter genommen haben. Nach kurzer Zeit lässt die Aktivität deutlich nach, dann können die Pumpe abgestellt und die Luft wieder reingelassen werden.

Bevor die Masse nun vollständig vernetzt und fest wird, kippe ich sie in den Behälter mit dem Urmodell und dem Angusssystem, so dass unter dem Urmodell möglichst keine Luftblasen verbleiben. Und da wir in das gerade entgaste Silikon nun wieder viel Luft hineingegeben haben, entgasen wir das Silikon in der Form mit dem Urmodell gleich noch einmal in der Vakuumkammer. Und dann ab damit bei 40°C in den Ofen zum zügigen Vernetzen. Bei Raumtemperatur geht es auch und ist für die Maßhaltigkeit sogar etwas besser, dauert dann aber 2 Tage statt 8 Stunden. Achtung: Der Prozess vom Zugeben des Vernetzers bis zum Ofen darf die sogenannte Topfzeit von 90 Minuten nicht überschreiten.

Nach dieser Wartezeit liegt uns jetzt ein Klotz aus Silikon mit eingegossenem Urmodell vor. Bevor der Abguss gemacht werden kann, muss das alles raus. Dazu arbeiten wir uns mit einem Skalpell (schnittfeste Handschuhe nicht vergessen) von außen an die Trennebene heran. Aber bitte nicht in einer gerade Linie sondern in einer Wellenlinie. Das sorgt dafür, dass wir die beiden Werkzeughälften hinterher passgenau wieder zusammenbekommen. Bei Hinterschnitten am Bauteil könnte man die Form sogar in mehr Teile zerlegen.

Urmodell und Angusssystem entnehmen, die Form schön säubern und mit Trennspray dünn einsprühen, denn die Kunststoffharze, die vergossen werden sollen, greifen auf Dauer das Silikon an und man bekommt so den später fertigen Abguss auch besser aus der Form heraus. Eine Kuchenform fette ich schließlich auch ein, bevor ich den Teig hineintue. Dann wird die Silikonform mit Klebeband verschlossen. Zum Einen möchte man nicht, dass das Harz aus dem Formspalt herausläuft, zum anderen hatte ich ja schon mal etwas über Auftriebskräfte beim Gießen erzählt. Also verbindet man Ober- und Unterhälfte fest und unter Spannung miteinander. Wenn man ganz sicher gehen will, klebt man auch einen Rand um die Oberkante herum, so dass übergelaufenes Material nicht in die Vakuumkammer oder den Ofen fließt, sondern oben auf der Form erstarrt. Die so vorbereitete Form wird (je nach Harz) im Ofen bei 70°C vorgewärmt.

Nun zu den Gießwerkstoffen: Die überwiegende Mehrheit der Werkstücke wird mit 2-Komponenten-Gießharzen auf Polyurethan- oder Polyamid-Basis hergestellt. Deren Eigenschaften sind von gummiartig über elastisch bis spröde und von matt-opak über durchscheinend bis fast transparent einstellbar. Dafür braucht es dann manchmal auch eine dritte Komponente. Sie sind auch durch Tinte oder Pigmente einfärbbar.

Wenn wir uns das passende Harz ausgesucht haben, wiegen wir die beiden Komponenten sehr genau nach Anleitung ab. Dabei bitte nicht vergessen, dass bei der zweiten Komponente beim Zukippen der Topfrest im Becher verbleibt. Auskratzen funktioniert im Vakuum nicht so gut.

Die beiden Becher mit den Harzen werden nun im oberen Bereich der Vakuumgießanlage in die neigbaren Halterungen gegeben. In den größeren Behälter kommt noch ein Rührwerk. Unter dem Becher folgt ein Trichter mit einem Kunststoffschlauch, der wiederum am Anguss der Silikonform endet. Bei Bedarf kann man die Form auch etwas ankippen, damit der Anguss auch wirklich die tiefste Stelle ist. Tür zu, Pumpe an.

Wozu brauchen wir das Vakuum eigentlich?

Dafür gibt es hauptsächlich zwei Gründe:

  • Wenn wir die beiden Komponenten zusammenrühren, bekommen wir wieder Luft ins Gießgut, die dann als Blasen im fertigen Werkstück auftaucht.
  • Wenn wir unter Umgebungsdruck gießen, muss die Luft, die in der Hohlform steckt mit dem Gießgut aus der Form verdrängt werden. Dies sorgt für Widerstand und hinter irgendwelchen Ecken, bei Engstellen oder wenn irgendwo eine Art Dom in der Form ist, könnten Blasen hängenbleiben.

Bei sehr hohen oder filigranen Bauteilen oder zähflüssigem Harz kann man in einer entsprechenden Anlage auch mit Differenzdruck arbeiten, indem man oberhalb des Gießguts zuerst wieder etwas Luft einlässt, die dann das Harz in die Form hineindrückt. Das ist aber eine Klasse komplizierter.

Normalerweise wartet man also bis das Gießgut aus allen Steigern wieder aus der Form herausfließt (Formfüllung erreicht) und auch keine Blasen mehr aus Anguss und Steigern herauskommen. Die Topfzeit beträgt hier etwa 5 Minuten. Die nun einsetzende Reaktion bei der Polymerisation ist exotherm, das heißt, dass Wärme freigesetzt wird. Meist kommt die nun gefüllte Form noch für 45 Minuten bei 70°C in den Ofen. Nach der entsprechenden Aushärtezeit für die Polymerisation ist der Abguss fertig. Die Endfestigkeit wird etwa nach 24 Stunden erreicht. Klebeband von der Form ablösen, Anguss und ggf. Kerne entfernen und schon kann das fertige Bauteil entnommen werden. Naja, Anguss und Steiger müssen noch mechanisch entfernt werden.

Je nach Komplexität des Werkstücks, chemischer Aggressivität des Gießgutes und Sorgfalt bei der Arbeit sind so 5 bis 30 Abgüsse möglich. Und das Verfahren ist einigermaßen schnell und günstig. Es können sogar Gewindebuchsen, Magnete, Elektronik und gewisse Speicherchips mit eingegossen werden.

Zwei Spezialitäten gilt es noch zu erwähnen: Es gibt niedrigschmelzende Metalllegierungen,  z. B. das Field’sche Metall, die beim Vakuumgießen verwendet werden können, um für Prototypen metallische Eigenschaften zu bekommen. Ein weiteres mögliches Gießgut ist Wachs, das dann wieder als Urmodell beim Wachsausschmelzverfahren oder Feinguss verwendet werden kann.

So weit also zu meiner kleinen Einführung in das Vakuumgießen: ein praktisches, anfassbares Urformverfahren mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten.

Ach, da fällt mir gerade noch etwas ein: Wenn die Endform eines Fertigungsprozesses, deren Anfangsform als Rohteil in Form eines Halbzeugs vorlag, durch einen nachfolgenden Bearbeitungsschritt zur Zwischenform wird, so benennt man sie im Lager als Halbfertigteil. So sagt es die DIN 8580.

 

geschrieben von Benjamin Remmers, Beratung durch Christoph Wente und Jörg Sahling
eingesprochen von Benjamin Remmers