065-Vakuumgießen

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik, und was für welche!

Ein nicht abebbender Trend bei Youtube sind Reaction-Videos, wo Youtuber und Youtuberinnen sich Videos von anderen Content-Schaffenden ansehen und ihre Reaktion dazu aufnehmen.

Für den Anfang werde ich schummeln und ein Video nehmen, das ich schon kenne. Und weil ich nun mal gerne und viel erkläre, versuche ich mal produktionstechnisch einzuordnen, was da so zu sehen ist. Ein erklärender Text zu den beeindruckenden Bildern fehlt nämlich bei dem Video.

Den Link zum Video gibt es in den Shownotes und auf unserer Homepage http://fertigungstechnisch.hamburg

Wenn ihr wollt, dass ich mal eine echte Reaction aufnehme, dann schickt mir Videos bzw. Links unter info (at) fertigungstechnisch (dot) hamburg, dann schaue ich das Video live bei der Aufnahme.

Das Video, um das es heute gehen soll, wird mir unter dem Titel „Der Prozess der Herstellung einer riesigen Sechskantmutter. Eine sehr interessante Metallfabrik.“ angezeigt.

Es beginnt in einem Lager, in dem verschiedene Bündel aus Stabstahl liegen. Eines der Bündel ist mit Rundschlingen an einem Kran angeschlagen und wird gerade entnommen. Die Rundstäbe sind vom Prinzip her blank, haben aber braune Stellen an der Oberfläche. Das Ende der Stäbe ist in grün markiert. Die Farbmarkierungen sind leider von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich. Für grün habe ich sowohl S235JR, also Baustahl und somit plausibel, als auch X210CrW12, das wäre ein Kaltarbeitsstahl und somit unwahrscheinlich für eine Mutter, sowie 11SMnPb30, einen Automatenstahl für Verbindungselemente im Metall- und Karosseriebau, gefunden. Letzteres klingt gar nicht so schlecht, wobei er laut Tabellenbuch eher für Kleinteile verwendet wird.

Die Stangen werden so auf einem Tisch abgelegt, dass sie nebeneinander liegen. Der Tisch ist leicht abschüssig und am Ende folgt eine Vorrichtung, die immer die vorderste Stange vereinzelt und automatisch in eine Werkzeugmaschine einführt. Diese Stangen würde ich üblicherweise als Halbzeug bezeichnen. In der nächsten Einstellung stellt sich die Werkzeugmaschine als Kreissäge heraus, die automatisiert von der Stange Rohteile (oder auch Rohlinge) abtrennt. Diese landen als Schüttgut in Behältern, die wie aufgesägte Ölfässer aussehen.

In der nächsten Station werden zwei der Behälter in einen Trichter gekippt, der die Beladung der nächsten Station erledigt. An seiner Seite ist ein sogenannter Stufenhubförderer befestigt. Ähnlich wie bei diesem Spielzeug mit den rutschenden Pinguinen werden durch Schieber, die sich auf und ab bewegen immer wieder einige Teile auf eine höher gelegene Stufe gehoben. Diese sind so ausgestaltet, dass oben nur nebeneinander liegende Stangenabschnitte ankommen, die dann auf einen Kettenförderer fallen. So sind dann richtig orientierte Rohlinge auf einer Stautrecke vor der nächsten Station positioniert. Das Metallrad, das kurz zu sehen ist, betätigt einen Schalter, der der Steuerung mitteilt, dass die Staustrecke voll ist.

Die nächste Station ist ein Ofen, der die Bauteile auf Schmiedetemperatur bringt. Es handelt sich bei den nächsten Bearbeitungsschritten also um Warmumformung. Warmumformung ist definiert als Umformung oberhalb der Rekristallisationstemperatur, bei Stahl wären das in etwa 600-700°C. Nach der Liste der Glühfarben wäre das von braunrot über dunkelrot nicht ganz bis dunkelkirschrot. Im Video sieht die Farbe eher nach gelbrot oder hellgelbrot aus, was Temperaturen von 900-1000°C entspräche, das kann aber durch die Aufnahme täuschen. Und etwas (wirklich nur etwas) vorzuhalten, kann auch nicht schaden. Wir sollten allerdings nicht über die PSK-Linie kommen und schmelzen soll der Werkstoff definitiv nicht.

Aus dem Durchlaufofen, bei dem ich leider nicht erkennen kann, ob er mit Gas (also Flammen), elektrischen Heizwendeln oder Induktion funktioniert, gelangen die Rohlinge über Rutschen zu einer Presse. Jetzt wird umgeformt.

Nach dem Einlegen in den Arbeitsraum der Presse durch einen Mitarbeiter mit einer langen Zange (die Wärmestrahlung und die Verletzungsgefahr durch Verbrennungen sind halt nicht zu verachten) wird das Rohteil in einem ersten Schritt zwischen planparallelen Platten vorgestaucht. Es wird flacher und dabei breiter und auch etwas ballig (oder bauchig) an der Mantelfläche.

Die Umformgeschwindigkeit ist recht hoch, die Presse wirkt aber recht leise. Ich schwanke in meiner Einschätzung zwischen einer Reibspindelpresse, die eigentlich lauter sein müsste, und einer Exzenterpresse. Vermutlich aber ersteres.

Im zweiten Umformschritt gibt es ein Untergesenk, in dem die sechseckige Form der Mutter hergestellt wird, und einen sechseckigen Stempel. Es handelt sich also um gratfreies Schmieden. Man sieht sehr gut, dass das Werkzeug die ganze Zeit gekühlt wird, damit es nicht weich wird. Durch die schnelle Hubbewegung werden auch die Druckberührzeiten möglichst kurz gehalten.

Mit der Zange kommt der massive Sechskant auf die nächste Rutsche und darüber zur nächsten Maschine. Dort wird das Kernloch für das Gewinde gestanzt. Man beachte die feststehende Abstreiferplatte, die die Mutter vom Schneidstempel trennt.

Über einen weiteren Kettenförderer geht es zum langsamen Abkühlen in das nächste abgesägte ehemalige Ölfass.

Jetzt folgt ein Verfahren, dass auch dringend mal eine eigene Podcastepisode benötigt: Das Gleitschleifen.

Die inzwischen abgekühlten Mutternrohlinge haben auf der Oberfläche noch die Zunderschicht. Sie kommen gemeinsam mit verschiedenen Flüssigkeiten, Zuschlagsstoffen und Schleifkörpern in eine große rotierende Trommel. Nach gewisser Zeit sind die Teile sauber, grat- und zunderfrei und schön matt. Ab ins nächste abgesägt (oder vermutlich trenngeschliffene) Fass.

Es fehlt noch das Gewinde. Teile werden in ein Bohrwerk eingespannt. Mit einem großen Gewindeschneider wird das Gewinde spanend eingebracht. Spannend ist hier, dass der Gewindeschneider nicht aus dem Gewinde herausgedreht, sondern nach dem Schnitt ausgespannt wird. Das vermeidet aus jeden Fall eine Menge Reibung und vermindert so den Verschleiß.

An dieser Stelle schummelt das Video jetzt. Als die fertige Mutter hübsch glänzend in die Kamera gehalten wird, bemerkt man, das die Planflächen oben und unten noch eine spanende Bearbeitung erfahren haben. Zudem wechselt zwischendurch meiner Meinung nach auch die Größe der Muttern. Aber der Bearbeitungsprozess wird in meinen Augen imposant gezeigt.

Dies ist ein Video, bei dem ich auch beim fünfzehnten Anschauen noch neue Details entdecke. Ist noch jemandem aufgefallen, dass bei der Schleiftrommel der Sicherungsbügel aus großen Muttern und Gewindestange gefertigt war?

Und für die Studierenden noch der Hinweis: Das Video zeigt nicht DEN Weg, wie so eine Mutter hergestellt wird, sondern EINEN Weg. Ich könnte mir für jeden Schritt auch mehrere Alternativen vorstellen. Und man könnte, wenn man denn wollte, auch die eine oder andere weitere Automatisierung in den Prozessen oder zwischen den Prozessen einbauen (z. B. automatische Auswerfer aus den Pressen).

Wenn Ihr von mir mehr über solche Fertigungsprozesse hören wollt: Schreibt es mir.

 

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers