076-Beschichten
Die Episode
Transkript
Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik. Heute soll es eine Übersicht über eine Gruppe von Fertigungsverfahren geben, die sich, wie so oft, in der DIN 8580 findet. Es geht um das Beschichten.
Diesmal brauche ich die Frage, ob jemand einen Gegenstand im Haus hat, der mit Hilfe eines Beschichtungsverfahrens hergestellt wurde, gar nicht zu stellen. Es geht einfach nicht ohne. Die Körbe in der Spülmaschine, die Bade- oder Duschwanne, Bücher, Smartphones, Brillen, Türen, Arbeitsplatten, Stifte, Fernseher, Fahrräder, Kleidung, Bodenbeläge, Fernbedienung, Bettgestelle und so weiter und so weiter. Und jetzt bitte nicht pingelig werden: Natürlich gibt es für fast jedes Teil irgendwie eine Ausnahme, aber im Großen und Ganzen habe ich Recht.
Und dafür, dass in fast jedem Produktionsprozess Beschichtungsverfahren eine Rolle spielen, werden sie doch häufig sträflich vernachlässigt. Wenn überhaupt werden diese Verfahren in Fertigungstechnikvorlesungen im Nebensatz erwähnt oder da nebenbei behandelt, wo sie nicht verschwiegen werden können, z. B. bei der Beschichtung von Wendeschneidplatten und Bohrern in der Spantechnik. Wie sieht es in der Literatur aus? Fritz/Schmütz? – Nix. Klocke – 5 Bände Fertigungstechnik? – Fehlanzeige. Immerhin in den „Grundlagen der Fertigungstechnik“ von Birgit Awiszus et al. Gibt es Kapitel zu den Beschichtungsverfahren.
Naja, bevor ich mich weiter aufrege, nehme ich mir lieber vor, zu verschiedenen Verfahren noch einzelne Episoden aufzunehmen. Und vielleicht sollte ich auch mal erklären, was Beschichten eigentlich ist. Beginnen wir (wie immer) in der Norm. Zitat:
„Fertigen durch Aufbringen einer fest haftenden Schicht aus formlosem Stoff auf ein Werkstück; maßgebend ist der
unmittelbar vor dem Beschichten herrschende Zustand des Beschichtungsstoffes.“
Ok. Erster Teil: fest haftende Schicht aus formlosem Stoff auf eine Oberfläche. Wer hat jetzt gerade NICHT Lackieren im Kopf? Klar, das Lackieren dürfte mit zu den bekanntesten Beschichtungsverfahren gehören. Womit wir dann beim zweiten Satz wären: Beim Lackieren ist der Zustand des Beschichtungswerkstoffs üblicherweise (und bis auf Ausnahmen) flüssig.
Damit wären wir auch schon bei den Gruppen innerhalb der Hauptgruppe „Beschichten“. Hier werden die Ausgangszustände aufgeführt. Dabei sind die Reihenfolge und die Nummerierung analog zu den Gruppen beim Urformen.
- flüssiger Zustand
- plastischer Zustand
- breiiger Zustand
- körniger oder pulverförmiger Zustand
- fehlt, da Späne hier keinen Sinn zu machen scheinen
- Beschichten durch Schweißen
- Beschichten durch Löten
- gas- oder dampfförmig und
- ionisierter Zustand
Im Folgenden möchte ich euch noch ein paar Beispiele aus den einzelnen Gruppen vorstellen.
Schaut euch doch einmal einen typischen Laternen- oder Ampelmast in Hamburg an. Man sieht eine irgendwie kristallin-metallisch aussehende Oberfläche. Sie ist das Ergebnis vom sogenannten Feuerverzinken. Das Bauteil wird komplett in ein Bad aus geschmolzenem Zink getaucht und bekommt so eine recht dicke Schicht auf die Oberfläche. Flüssiger Zustand – Schmelztauchen.
Habt ihr schon einmal mit einem Permanentmarker auf ein Metall- oder Kunststoffteil geschrieben? Flüssiger Zustand – Beschriften
Auch das Färben gehört in diese Gruppe, da sich die flüssige Farbe auf die Oberfläche der Fasern setzt.
Beim plastischen und breiigen Zustand bin ich mir nicht ganz sicher, wo die Grenze verläuft. Ich nehme mal an, dass beim Spachteln die Spachtelmasse im sogenannten plastischen Zustand etwas homogener ist, als der breiige Putz beim Verputzen. Klärt mich gerne in den Kommentaren oder per Mail an info (at) fertigungstechnisch (dot) hamburg auf, wenn ihr es besser wisst.
Bei den Recherchen zu den Verfahren aus dem pulverförmigen Zustand habe ich tatsächlich etwas dazugelernt. Das Pulverbeschichten ist eigentlich eine Prozesskette, deren erster Schritt das elektrostatische Beschichten ist. Das Aushärten des Lackes gehört dann wiederum zum „Stoffeigenschaft ändern“. Pulverbeschichtete Bauteile? Die Außenverkleidung von Haushaltsgeräten, die sogenannte weiße Ware.
Das Wirbelsintern ist dann eher für das Beschichten mit wirklichen Kunststoffschichten zuständig, es findet sich z. B. bei den Geschirreinschüben in der Spülmaschine.
Das Auftragschweißen kennt man heute eher aus der additiven Fertigung, dann wäre es aber der Hauptgruppe Urformen zuzuschreiben. Ansonsten benutzen es z. B. Hufschmiede, um die Kanten der Hufeisen zu verstärken. Aber eher selten.
Darf ich das sehr spezielle Auftraglöten auslassen?
Das Bedampfen kenne ich unter anderem aus der Mikrobearbeitung und der Herstellung spezieller Spiegel.
Die letzte Gruppe wiederum hat hohes Gewicht in der Produktion. Zur Gruppe „aus dem ionisierten Zustand“ gehören unter anderem die Verfahren des Galvanisierens bzw. der Galvanik. In einem Elektrolyt werden durch elektrischen Strom Metallionen von einer Anode auf die Oberfläche eines Werkstückes, das als Kathode wirkt, aufgetragen. Typisch sind hier Verzinken, Vergolden, Versilbern, Verchromen und Rhodinieren.
Durch die Beispiele habt ihr vielleicht schon bemerkt, wozu man den ganzen Aufwand des Beschichtens eigentlich treibt.
Ich persönlich würde mal grob drei Anwendungsbereiche aufmachen, die aber fließend ineinander übergehen und zusammenwirken:
- Korrosionsschutz: Indem ich auf korrosionsgefährdete Werkstücke (z. B. solche aus Stahl), die sich vielleicht noch zusätzlich in ungünstigen Umgebungen (Salzwasser, Säuren, Abgase) befinden, eine Schutzschicht aufbringe, die entweder als Barriere oder als Opferanode dient, kann ich die Lebensdauer zum Teil deutlich erhöhen. Offshore-Einsatz ist dann aber doch noch etwas anderes, als eine Büroumgebung.
- Verbesserung der mechanischen Eigenschaften: Chromschichten auf dem Wasserhahn sind sehr hart und sorgen dafür, dass er auch nach häufigem Gebrauch nicht so stark verkratzt. Vergoldete Kontakte an Steckern oxidieren nicht und behalten daher die elektrische Leitfähigkeit. Beschichtungen auf Zerspanwerkzeugen sollen die Oberflächenhärte erhöhen, ohne die elastischen oder zähen Eigenschaften des Grundkörpers zu verlieren.
- Optische Gründe: Beschriftungen, Farben und Lackierungen sollen auch schön aussehen.
Und wie oben schon gesagt: Die Lackschicht darf gerne vor Korrosion schützen und trotzdem gut aussehen.
Ich hoffe, dass ich euch heute einen ersten Überblick über die große, wichtige und oft übersehene Gruppe der Beschichtungsverfahren liefern konnte. Schreibt mir gerne, welche Verfahren in mal tiefer betrachten soll.
Ach und übrigens: Das Folieren einer Autokarosserie, der Schutz eures Handydisplays mit einer Schutzfolie und das Laminieren oder Furnieren von Arbeitsplatten gehören NICHT zu den Beschichtungsverfahren, da die Folie schon eine definierte Geometrie hat. Hierbei wird gefügt!
geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers