052-Schruppen und Schlichten

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Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik.
In der Episode über die Bedeutung von Fertigungstechnik hatte ich erwähnt, dass es einen ewigen Wettstreit von Qualität, Kosten und Zeit gibt. Das hat natürlich Einfluss auf die Auswahl der Fertigungsverfahren UND die Bearbeitungsstrategien innerhalb der Verfahren.
Schauen wir uns als erstes mal ein Drehteil an: Das Rohteil ist ein Zylinder und es soll auf einer Seite ein dünnerer Zapfen entstehen. Es muss also ein gewisses Volumen in Späne umgewandelt werden. Aus der Episode mit den Spanungsgrößen habe ich mir gemerkt, dass die Oberflächenrauheit unter anderem vom Vorschub abhängt. Ein geringer Vorschub verbessert die Oberfläche. Wenn ich also mit diesen Fertigungsparametern den ganzen Zapfen bearbeite, wird es sehr lange dauern und damit auch über den Maschinenstundensatz teuer sein. Neben der Rauigkeit zähle ich besonders Form und Maß zur Qualität. Die Lagetoleranzen haben mit dem heutigen Thema nicht so viel zu tun.
Ich teile die Fertigung des Zapfens also in zwei Schritte auf: Schruppen und Schlichten.
Beim Schruppen ist das Ziel, so viel Volumen so schnell wie möglich abzutragen. Das Zeitspanvolumen soll so hoch wie möglich sein. Bei Verfahren ohne Späne wird diese Größe auch einfach Abtragrate genannt. Und hier treffe ich häufig auf ein Missverständnis: Viele Studierende denken, dass Schruppbearbeitung auch grob sein muss (also z. B. mit schlechter Oberflächengüte einhergeht). Das ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil: Wir Fertigungstechniker:innen sind immer froh, wenn wir schnell und gut gleichzeitig arbeiten können. Allerdings klappt das nicht immer.
Also Schruppbearbeitung heißt, dass der Fokus auf der hohen Abtragrate liegt, die Oberfläche und die Maßhaltigkeit sind nachrangig.
Das bedeutet dann auch, dass ich beim Schruppen nicht „auf Maß“ fertige. Ich lasse für die anschließende Feinbearbeitung ein sogenanntes Schlichtaufmaß übrig. Dieses sollte möglichst so bemessen sein, dass in der Fertigbearbeitung nur noch ein einzelner Schnitt notwendig ist, und dieser möglichst gleichmäßige Bedingungen vorfindet, häufig wenige Zehntelmillimeter.
Was stelle ich an meiner Maschine jetzt ein? Hoher Vorschub, große Zustellung, niedrige Schnittgeschwindigkeit sind typisch. Das Schruppwerkzeug muss also stabil sein, was ich durch große Keilwinkel und Eckenradien erreichen kann. Kühlschmierstoff ist damit fast unumgänglich.
Dann komme ich jetzt zum Schlichten.
Hier verschiebt sich der Fokus auf Form, Maß und Oberfläche. Die Abtragrate wird unwichtiger. Beim Drehen würde ich mit einem schlankeren Keilwinkel, geringerem Eckenradius bei kleinem Vorschub und höherer Schnittgeschwindigkeit arbeiten wollen. Das Schlichtaufmaß sollte so gewählt sein, dass ich mit nur einem Schnitt arbeiten kann. Ist das Aufmaß zu groß, wird die Werkzeugspitze zu stark belastet; Ist es zu klein, neigt die Schneide zum Wegdrücken, was Maßhaltigkeit und Oberfläche verschlechtert. Das Kühlschmiermittel schützt hier die Werkzeugspitze und verbessert die Oberfläche.
Wie immer im Leben ist aber auch bei diesem Thema nicht alles nur schwarz oder weiß: Es gibt Anwendungen, wo zwischen dem Schruppen und Schlichten noch ein Vorschlichten oder nach dem Schlichten noch ein Feinschlichten folgen. Manchmal müssen auch weitere Verfahren wie Schleifen, Hohnen oder Läppen folgen. Dies würde man aber nicht mehr als Schlichtvorgang bezeichnen, diese Unterscheidung kenne ich nur innerhalb eines Verfahrens.
Apropos Verfahren: Wo findet man diese beiden Prozessschritte denn überhaupt.
Ich starte ganz profan bei der manuellen Bearbeitung: Beim Feilen gibt es Werkzeuge mit unterschiedlichem Hieb. Je größer der Hieb, desto feiner die Zähne auf der Feile. Eine Feile mit Hieb 3 ist eine Schlichtfeile. Wer schon einmal im Praktikum oder in der Ausbildung einen U-Stahl gefeilt hat, weiß, dass man erst schnell das Volumen wegarbeiten will, um dann mit der Schlichtfeile Rechtwinkligkeit, Ebenheit, Maß und Oberfläche herzustellen. Musste außer mir noch jemand schaben?
Auch beim Handwerklichen Schmieden gibt es die Schlichtbearbeitung, wobei mit einem sogenannten Schlichthammer die Oberfläche geglättet wird.

Das Drehen hatten wir schon.
Beim Fräsen gibt es spezielle Schruppfräser, die große Zahnzwischenräume und vor allem ein unterbrochenes Schneidenprofil aufweisen. Dadurch sollen kürzere Späne erzeugt werden, die sich besser abführen lassen. Allerdings leidet darunter die Oberflächengüte.
Beim Bohren habe ich die Begriffe Schruppen und Schlichten bisher noch nicht gehört. Allerdings gibt es etwas ganz Ähnliches. Wenn ich nur eine Schraube durch das Loch stecken möchte, sind mir Zylindrizität und Oberfläche meist herzlich egal. Wenn es aber darum geht, ein Lager oder einen Stift einzupressen oder ich gar ein Gleitlager herstellen möchte, sieht das gleich ganz anders aus. Dann könnte ich an einer konventionellen Bohrmaschine oder bei kleineren Bohrungen z. B. eine Reibahle verwenden, an einer CNC-Maschine oder bei größeren Bohrungen könnte ich mit einem einstellbaren Ausspindelwerkzeug arbeiten. Schruppen und Schlichten werden also durch Vorbohren, Aufbohren und/oder Reiben dargestellt.
Bei der Funkenerosion (das Verfahren habe ich in einer früheren Episode schon erklärt) gibt es die Unterscheidung in Schruppen und Schlichten ebenfalls. Hier verändere ich die elektrischen Einstellwerte wie Stromstärke, Impulsdauer und Pausendauer entsprechend. Meistens verwende ich für das Schlichten auch eine eigene Elektrode, die für einen kleineren Arbeitsspalt und mit besserer Oberflächengüte gefertigt wurde. Ich möchte ja nicht die Sägeriefen von der Elektrodenoberfläche mit guter Genauigkeit auf dem Werkstück abbilden.
Beim Winkelschleifer, der Flex, gibt es ebenfalls eine Schruppscheibe mit gröberer Körnung und geschichteten Schleiflippen.
Beim Maschinellen Schleifen mit Schleifscheiben nennt man das Schruppen auch Grobschleifen.
Ganz wichtig bei den Bearbeitungsstrategien ist wieder mein Lieblingsgrundsatz: So fein wie nötig, so grob wie möglich. Wenn ich die geforderte Oberflächengüte z. B. bei Flächen, die später keine Funktion haben oder keine Sichtflächen sind, auch mit einer Schruppbearbeitung hinbekomme, dann sollte ich keine Schlichtbearbeitung durchführen, nur weil man das sonst immer so macht. Immer an Qualität, Zeit und Kosten denken.
Ich hoffe, dass Sinn und Zweck der Schrupp- und Schlichtbearbeitung jetzt ein wenig klarer sind.
Und übrigens: Einen Schrubber sollten wir in der Fertigungstechnik nur am Freitagnachmittag brauchen, wenn wir in der Werkstatt das RIS-Prinzip anwenden: Reinigen – Inspizieren – Schmieren
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geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers