054-Bohrungen

Transkript

Es ist Zeit für ein wenig Fertigungstechnik.
Nach meinem Desaster beim Befestigen des Mottoschilds im Labor möchte ich mich mit Bohrungen auseinandersetzen. Da ich aber nur 10 Minuten Zeit habe, muss ich das Gebiet leider etwas einschränken. Als Werkstückwerkstoff wähle ich Metalle, die keine zu hohe Härte besitzen. Holz- und Steinbohrer sowie Bohrkronen fallen also raus. Ich möchte auch die ganzen Spezialformen weglassen, die z. B. unrunde Löcher erzeugen. Das Tiefbohren hat Professor Müller schon behandelt. Heuer also mal nur mit Rotationssymmetrie.
Einfachster Fall: Ich möchte eine zylindrische Bohrung in einem Werkstück aus Metall, z. B. Baustahl (S235JR) erzeugen. Sie soll an einer bestimmten Position sein (Lage) und einen bestimmten Durchmesser haben (Maß). Die Rundheit, Zylindrizität und Rechtwinkligkeit zur Oberfläche (Form, Form und Richtung) ignoriere ich erstmal.
Zunächst gehe ich zur Anreißplatte. Das ist eine schwere Platte aus Stahl, die möglichst eben ist, und auf der ein Höhenreißer, ein Prisma für runde Teile und ein Winkel stehen. Ein Höhenreißer besteht aus einem Standfuß, einem senkrechten Ständer mit einer Skala und einer höhenverstellbaren Klinge aus Hartmetall. Ich stelle also an der Skala mit dem Nonius die erste Koordinate des Bohrungsmittelpunkts ein, fixiere sie und ritze eine kleine linienförmige Markierung in die Oberfläche des Werkstücks. Im Optimalfall ist sie so klein, dass sie beim Bohren verschwindet. Dasselbe mache ich mit der zweiten Koordinate. Nun habe ich also ein kleines Kreuz auf meinem Werkstück, dessen Schnittpunkt dem Bohrungsmittelpunkt entspricht. Für die ganz großen Bauteile gibt es andere technische Möglichkeiten, den Bohrungsmittelpunkt anzuzeichnen.
Ich kann jetzt allerdings noch nicht zur Ständerbohrmaschine gehen. Wenn man sich die Spitze eines Wendelnutenbohrers genau ansieht, dann entdeckt man eine kleine Querschneide, die nur auf der Oberfläche schabt. Dies würde dafür sorgen, dass die Bohrerspitze auf der Oberfläche tanzt und dabei verläuft, Position und Winkel stimmen dann im schlimmsten Fall nicht mehr. Ein Bohrer ist tatsächlich eine instabile Angelegenheit, speziell dann, wenn er lang oder dünn und nicht aus Hartmetall ist.
Ich nehme mir also einen Körner zur Hand. Das ist ein Werkzeug aus vergütetem Stahl mit einer sauber angeschliffenen Spitze mit einem Winkel von 60° oder 90°. Diese Spitze setze ich möglichst genau auf den Kreuzungspunkt, halte den Körner senkrecht und erzeuge mit einem wohldosieren Hammerschlag die Körnung. Dieser Eindruck in der Oberfläche zentriert die Bohrerspitze.
Für kleine Bohrungen könnte das so schon ausreichen. Für größere Bohrungen könnte ich einen Zentrierbohrer benutzen. Dieser ist sehr kurz, hat eine dünne, kurze Bohrspitze, die dann meist mit einem 60° Winkel in einen größeren Durchmesser übergeht. Da er sehr kurz ist, neigt er nicht zum Weglaufen. Durch die kurze Anbohrung und den Konus wird der Wendelnutenbohrer im Anschluss gut zentriert und geführt.
Bei Bohrungen über in etwa 10mm Durchmesser wird die Querschneide des Bohrers so breit, dass die Vorschubkraft immer größer wird und immer mehr Wärme entsteht. Dann sollte man mit einem kleineren Bohrer vorbohren. Die Vorbohrung sollte dabei nur etwas größer sein, als die Querschneide des Folgewerkzeugs.
Wo waren wir stehengeblieben? Anreißen, körnen, ggf. an- oder vorbohren. Das Werkstück sollte gut im Schraubstock aufgenommen, dieser gut positioniert und/oder sogar festgeschraubt werden. Dann steht einer guten Bohrung nichts mehr im Wege.
Bei einer CNC-Maschine kann ich mir das Anreißen und Körnen sparen und ich verwende einen NC-Anbohrer, der nicht den dünnen, zylindrischen Zapfen an der Spitze hat. Hier sorgt die Steifigkeit der Maschine für Stabilität.
Ist das jetzt schon alles? Natürlich nicht. Auf der Unterseite der Bohrung habe ich einen Grat, auf der Oberseite eine scharfe Kante. Diese würden verhindern, dass die zu fügenden Teile plan aufeinanderliegen bzw. stellen eine nicht zu vernachlässigende Verletzungsgefahr dar.
Also verwende ich z.B. einen Kegelsenker, um den Grat zu entfernen und die Kante zu brechen, quasi eine Miniaturfase.
Ach so: Die Zylinderbohrung kann natürlich als Durchgangsbohrung und als Grundbohrung (auch Sacklochbohrung) ausgeführt werden. Bei tiefen Bohrungen, davon spricht man bei einer Tiefe größer zweimal dem Durchmesser, sollte man beim Bohren ab und an kurz den Bohrer abheben, um den Span zu brechen.
Was kann ich mit der Bohrung noch alles anstellen? Wenn ich den Schraubenkopf verstecken möchte, kann ich eine Senkbohrung herstellen. Diese gibt es für Sechskantschrauben, Zylinderkopfschrauben mit Innensechskant oder auch Senkkopfschrauben. Letztere mache ich häufig mit dem schon genannten Kegelsenker, zylindrische Senkungen mit einem Zapfensenker.
Wenn ich eine Passung herstellen möchte, muss ich die Ausgangsbohrung etwa 1-2 Zehntelmillimeter kleiner ausführen, dann mit dem Kegelsenker ansenken und abschließend mit einer Reibahle das Passmaß herstellen.
Wichtig für alle diese Prozessschritte ist selbstverständlich die Qualitätskontrolle: Position, Durchmesser, Senktiefen müssen immer darauf kontrolliert werden, ob sie innerhalb der Toleranzen liegen.
Die Bohrung könnte aber auch als Kernloch für ein Gewinde dienen. Dann würde nach dem Ansenken, was etwas tiefer ist als das reine Entgraten, noch die Herstellung des Gewindes folgen. In der CNC-Maschine passiert dies in einem Schritt, beim manuellen Arbeiten werden oft Sets aus drei Werkzeugen verwendet, die das Gewinde immer ein wenig tiefer schneiden. Wichtig beim manuellen Gewindeschneiden ist das Spanbrechen, das ich durch kurzes Rückwärtsdrehen erreiche.
Für große Löcher in Blechen wird gerne ein Schäl oder Stufenbohrer verwendet. Ganz große Löcher würde ich eher ausstanzen, wirklich große Löcher vielleicht nibbeln, laser-, wasser-, oder plasmastrahlschneiden. Anderes Thema.
Zum Schluss noch ein Ausblick: Wenn die Bohrungsoberfläche noch besser sein soll, kann ich sie auch noch ausspindeln, honen oder läppen.
Das soll für heute reichen und zeigen, wie vielfältig die Fertigungstechnik rund ums Bohren so ist. Außerdem wollte ich zeigen, dass ich häufig nicht mal so eben ein Loch bohren kann bzw. sollte.

Ach und übrigens: Lasst euch nicht in der Werkstatt vom Gesellen zur Materialausgabe schicken, um eine Tüte mit Körnerpunkten zu holen. Das ist genau so ein Prank wie das Amboss-Klangfett oder die Gewichte für die Wasserwaage. Dafür seid ihr als Hörer:innen dieses Podcasts inzwischen zu schlau.

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers