057-Dreierlei Umformtechnik

Die Episode

Folge herunterladen

Transkript

Es ist Zeit für einen kleinen Test! – Naja, mehr ein Quiz. Einen Test hätte man ja vorbereiten müssen. Ich lese gleich mal drei Definitionen aus DIN-Normen vor, die jeweils eine Untergruppe von Fertigungsverfahren beschreiben. Umgangssprachlich würde man auf dieser Ebene schon von Verfahren sprechen. Ihr achtet bitte mal auf die feinen Unterschiede und beantwortet mir hinterher die Frage, welche Beschreibung zum Fließpressen passt.

Definition 1:

„Durchdrücken eines von einem Aufnehmer umschlossenen Blocks vornehmlich zum Erzeugen von Strängen [..] mit vollem oder hohlem Querschnitt.“

Definition 2:

„Durchdrücken eines zwischen Werkzeugteilen aufgenommenen Werkstückes, z. B. Stababschnitt, Blechausschnitt, vornehmlich zum Erzeugen einzelner Werkstücke. Im Unterschied zum Verjüngen sind [hier] größere Formänderungen möglich.“

Definition 3:

„Druckumformen mit gegeneinander bewegten Formwerkzeugen [..], die das Werkstück ganz oder zu einem wesentlichen Teil umschließen und dessen Form enthalten [..].“

Na? Welches ist das Fließpressen? – Richtig, das zweite. Und was waren die anderen beiden?

„Durchdrücken eines von einem Aufnehmer umschlossenen Blocks vornehmlich zum Erzeugen von Strängen [..] mit vollem oder hohlem Querschnitt.“ wäre Strangpressen. Bei diesen Verfahren nehme ich also einen kompakten Klotz fließfähigen Materials (meist Aluminium oder Kupfer), erwärme ihn über die Rekristallisationstemperatur (also Warmumformung) und drücke ihn mit großer Kraft durch eine Matrize. Damit der Block nicht gestaucht wird und zur Seite ausbaucht, muss er dabei von einer stabilen Hülse, dem Rezipienten, umschlossen sein. In der Episode über die Herstellung von Rohren habe ich das Strangpressen bereits erwähnt und es bekommt sicherlich noch eine eigene Folge. Das Ergebnis des Strangpressens sind üblicherweise Halbzeuge, die dann entsprechend auf Länge gebracht und weiterverarbeitet werden. Beispiele wären Rohre, Konstruktionsprofile, Rahmenprofile, Kühlrippen und so weiter.

Definition 3 „Druckumformen mit gegeneinander bewegten Formwerkzeugen [..], die das Werkstück ganz oder zu einem wesentlichen Teil umschließen und dessen Form enthalten [..].“ wäre das Gesenkformen. Hier möchte ich kurz das Formpressen mit Grat anführen, das umgangssprachlich gerne Gesenkschmieden genannt wird. Bei diesem Verfahren enthalten die beiden Werkzeughälften eine Gravur, die im Prinzip das Negativ der Bauteilkontur darstellt. Es wird dabei ein zusätzlicher Raum für einen Grat gelassen. Dieser erlaubt überschüssigem Werkstoff nach außen auszuweichen, muss dann allerdings in einem Folgeschritt abgeschert oder zerspanend entfernt werden. Im überwiegenden Anteil der Prozesse ist das Gesenkformen der Warmumformung zuzurechnen.

Jetzt möchte ich noch kurz in das Fließpressen einführen. Noch einmal die Definition:

„Durchdrücken eines zwischen Werkzeugteilen aufgenommenen Werkstückes, z. B. Stababschnitt, Blechausschnitt, vornehmlich zum Erzeugen einzelner Werkstücke. Im Unterschied zum Verjüngen sind [hier] größere Formänderungen möglich.“

Ich möchte einen abgesetzten Bolzen herstellen, vielleicht als Kolbenstange für einen Pneumatikzylinder. Auf der einen Seite ein großer Kreisquerschnitt, dann ein kurzer Konus, dann ein kleinerer Kreisquerschnitt. So in etwa wie eine Schraube mit hohem Kopf. Ich nehme mir ein zylindrisches Rohteil mit dem großen Durchmesser aber dem Volumen des Fertigteils. Das Rohteil lege ich in eine Matrize, die das ganze Rohteil aufnehmen kann und am unteren Ende die konische Verjüngung aufweist. Dann drücke ich von oben vollflächig auf das Rohteil, überwinde die Fließspannung, bis der Werkstoff durch die Matrize fließt und dahinter den kleineren Durchmesser annimmt. Würde ich jetzt weiterdrücken, bis nahezu kein Werkstoff mehr in der Matrize verbleibt, dann hätte ich eigentlich Strangpressen. Aber stattdessen höre ich einfach dort auf, wo meine Fertigteilkontur entstanden ist. Dann fahre ich den Stempel wieder auf und muss mit einem Auswerfer das Bauteil wieder von unten aus der Form austreiben.

Das eben beschriebene Verfahren nennt sich Voll-Vorwärts-Fließpressen. Es scheint also auch noch andere Verfahrensvarianten zu geben. Fangen wir vorne an:

  • Vollfließpressen ist es, wenn mein Roh- und Fertigteil keine inneren Hohlräume enthalten. Vorher massiv, hinterher massiv.
  • Napffließpressen nennt man es, wenn das Rohteil massiv und das Fertigteil ein Napf ist. Ein Napf ist ein einseitig offener Hohlkörper.
  • Hohlfließpressen ist, wenn das Rohteil schon ein Napf oder ein Rohrabschnitt (bzw. Hohlzylinder) ist, dessen Querschnitt im Prozess verändert wird. Vorher hohl, hinterher hohl.

Dann kann man noch nach der Fließrichtung unterteilen:

  • Beim Vorwärts- oder Gleichfließpressen laufen Stempelbewegung und Werkstofffluss in die gleiche Richtung.
  • Beim Rückwärts oder Gegenfließpressen laufen Stempel- und Werkstoffbewegung gegeneinander.
  • Beim Querfließpressen, na?

Fließpressen ist eine Verfahrensfamilie, die sowohl im kalten, halbwarmen und warmen Zustand erfolgen kann. Je nach Umformgraden, erforderlichen Toleranzen und Folgeprozessen kann man sich jetzt die Variante zusammenstellen. Die in meinen Augen häufigsten Varianten sind Voll-Vorwärtsfließpressen, Napf-Rückwärts-Fließpressen und das Hohl-Vorwärts-Fließpressen.

Es sind durchaus auch Prozessketten üblich, bei denen nacheinander in verschiedenen Schritten umgeformt wird; z. B. erst mit Rückwärts-Napf-Fließpressen einen einfachen Napf herstellen und dann hinterher mit Hohlfließpressen partiell die Wandkontur verändern.

Ich vermute ganz stark, dass die meisten Leute fließgepresste Näpfe im Haus haben. Rasierschaum- und Schaumfestigerbehälter sind häufig fließgepresst. Dazu schaut Ihr Euch am besten mal den Boden an. Wenn der Behälter nicht sowieso aus Blech hergestellt und gefalzt ist, dann sind am Boden sternförmig von der Mitte ausstrahlende Strukturen erkennbar – die entstehen beim Napffließpressen.

Ach und übrigens: Da beim Strangpressen eh alles fließt, versucht die Forschung gerade, ob man nicht auch kompaktierte Späne als Rohteil benutzen kann, dann spart man sich das Einschmelzen und Gießen. Grüße an die Kolleg:innen von der Leuphana Universität in Lüneburg und das Helmholtz-Zentrum Hereon in Geesthacht.

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers