058-Scherschneiden

Die Episode

Folge herunterladen

Transkript

Es wird gestanzt! Endlich. Heute früh erreichte mich ein Geschenk von einer ganz lieben Kollegin. Ein Buch über Stanz- und Ziehwerkzeuge von 1949. Ich habe den rauen, dicken Einband aufgeschlagen und fühlte mich direkt nostalgisch bei der Schriftart und einigen Formulierungen. Aber viele der Skizzen und Abbildungen sind heute immer noch gültig und wunderschön.

Also Scherschneiden. Ich habe die Verfahren in Episode 44 über die Trennverfahren schon erwähnt und heute möchte ich mich ausschließlich mit dem einhubigen Scherschneiden mit zwei festen, parallel stehenden Schneiden beschäftigen; keine Wirkmedien, kein kontinuierlicher Schnitt. Und auch das Entfernen des Schmiedegrates meine ich heute nur mit. Ich werde vermutlich nur von Blechen reden. Die Formeln gelten prinzipiell auch dort.

Zunächst gibt es beim Trennen die Unterscheidung nach dem Ziel, das ich erreichen will.

Ausschneiden heißt es, wenn ich aus einer zusammenhängenden Fläche etwas heraustrenne und das ausgeschnittene Teil behalte. Das passiert typischerweise beim Herstellen von Blechrohlingen für Folgeprozesse. Lochen heißt es, wenn ich die restliche Fläche behalte. Lochblech anyone? Zerschneiden ist, wenn ich beide Teile benutzen möchte. Beschneiden ist, wenn ich keine geschlossene Schnittkontur habe. Einschneiden und Abschneiden erklären sich von selbst.

Ausschneiden und Lochen werden je nach Quelle und Entfernung zur Fachliteratur auch als Stanzen bezeichnet.

Stellt Euch also einmal eine Schlagschere von der Seite gesehen vor: Von links kommt eine Tischplatte. Das Ende dieser Tischplatte ist eine gehärtete und geschliffene Schneide mit nur ganz geringem Freiwinkel. Es wird eine stabile Schneide benötigt. Freiwinkel bedeutet hier, dass die Schneide nach unten etwas zurückweicht, damit das abgeschnittene Blechteil nicht so eine große Reibfläche vorfindet. Auf der Schneidplatte liegt das Werkstück. Von oben kommt die zweite Schneide, ebenfalls mit sehr geringem oder sogar ohne Freiwinkel und wird sich knapp an der unteren Schneide vorbeibewegen. Den Abstand, den die beiden Schneiden voneinander haben, nennt man Schneidspalt. Die Größe des Schneidspalts uS hängt hauptsächlich vom Verfahren (Schneiden oder Feinschneiden), vom Werkstoff (zäh oder hart) und von der Blechdicke ab. Beim normalen Scherschneiden können wir von 2-10% der Blechdicke ausgehen, beim Feinschneiden ist er eher um 0,5%.

Wenn ich die zweite Schneide nun auf das Blech aufsetze. Bekomme ich ein Biegemoment, das ich ggf. bei offenem Schnitt mit einem Niederhalter auffangen muss. Dann fängt das Material ähnlich dem Hohlprägen an zu fließen. Es bildet sich eine kleine Anrundung. In der nächsten Phase beginnen die Gleitebenen in den Kristalliten durch Schubspannungen zu fließen, es entsteht der eigentliche Schnitt. Und erst im nächsten Schritt verlassen wir die Umformtechnik: Denn nun beginnen sich von den Schnittkanten Risse in das Material hinein auszudehnen und es kommt zum Bruch. Bei korrekt gewähltem Schneidspalt treffen sich die Risse. Scherschneiden ist halt Umformen bis zum Bruch.

Die Schnittfläche besteht üblicherweise aus drei Bereichen. Ich schaue im Folgenden bei einem gestanzten Loch auf das Werkstück von oben nach unten:

  • Als erstes kommt die Anrundung
  • Dann die glatte Schnittfläche
  • Und ganz unten die matt-raue Bruchfläche

Die glatte Schnittfläche kann beim normalen Scherschneiden 20-60% der Blechdicke betragen, dies ist unter anderem vom Schneidspalt und von der Duktilität des Werkstoffs beeinflusst: Bei zähen Werkstoffen ist der Schnittbereich größer, bei spröden Werkstoffen der Rissbereich. Beim Feinschneiden kann ich nahezu 100% Schnittbereich erreichen. Alleine das Aussehen der Schnittkante verrät also schon sehr viel über den Prozess. Schaut euch das beim nächsten Blechteil mal genau an.

Bei unsauberem Arbeiten mit z. B. stumpfen Schneidkanten bekomme ich auf der Unterseite auch noch einen Grat.

Durch die hohen Drücke und die Reibung zwischen Werkstück und Freiflächen bekomme ich nämlich Verschleiß. Vorwiegend werden die Schneidkanten rund.

Jetzt komme ich noch zu einer Berechnung. Die wohl wichtigste für die Auswahl der Maschine ist die Formel für die maximale Schneidkraft.

Wenn wir davon ausgehen, dass wir bis zum Bruch umformen, suchen wir die Kraft, bei der die zulässige Schubspannung überschritten wird. Das wäre in erster Näherung τB. Wenn diese nicht speziell experimentell bestimmt wurde, nimmt man üblicherweise 80% der Zugfestigkeit an. Will man etwas genauer sein, nimmt man (je nach Quelle) 70% bei spröden und 90% bei zähen Werkstoffen. Einige Quellen setzen anstelle von τB lieber die spezifische Schneidkraft kS (auch Scherwiderstand genannt) ein, da diese eben nicht NUR von der Zugfestigkeit abhängt. Die spezifische Schneidkraft bekommt man aus Tabellenwerken.

Um aus einer Spannung eine Kraft ausrechnen zu können, benötigen wir noch eine Fläche. Diese bekommen wir aus der Länge der Schnittlinie l multipliziert mit der Blechdicke s. Dies ist die belastete Schnittfläche.

Somit ergibt sich die maximale Schnittkraft je nach Vorliebe zu

<m:omathpara><m:omath><m:ssub><m:ssubpr><m:ctrlpr></m:ctrlpr></m:ssubpr><m:e><m:r>F</m:r></m:e><m:sub><m:r>S</m:r></m:sub></m:ssub><m:r>=</m:r><m:r>l</m:r><m:r>∙</m:r><m:r>s</m:r><m:r>∙</m:r><m:ssub><m:ssubpr><m:ctrlpr></m:ctrlpr></m:ssubpr><m:e><m:r>τ</m:r></m:e><m:sub><m:r>B</m:r></m:sub></m:ssub><m:r>=</m:r><m:r>l</m:r><m:r>∙</m:r><m:r>s</m:r><m:r>∙0,8∙</m:r><m:ssub><m:ssubpr><m:ctrlpr></m:ctrlpr></m:ssubpr><m:e><m:r>R</m:r></m:e><m:sub><m:r>m</m:r></m:sub></m:ssub><m:r>=</m:r><m:r>l</m:r><m:r>∙</m:r><m:r>s</m:r><m:r>∙</m:r><m:ssub><m:ssubpr><m:ctrlpr></m:ctrlpr></m:ssubpr><m:e><m:r>k</m:r></m:e><m:sub><m:r>S</m:r></m:sub></m:ssub></m:omath></m:omathpara>

Der Einfluss der stumpfer werdenden Schneiden kann über einen weiteren Faktor integriert werden.

Zum Ende der Episode möchte ich noch über Maßnahmen sprechen, um die Schnittkraft zu senken. Wenn ich auf die Formel schaue, ist der einzige Anteil, den ich beeinflussen kann, die Schnittlinienlänge. Bei der Schlagschere, die nur auf einer gerade Linie schneidet, kann ich das Messer etwa 1-3° schrägstellen, so dass nicht die gesamte Schneidkante auf einmal im Einsatz ist. Bei geschlossenen Schnittkanten kann ich beim Lochen den Stempel, beim Ausschneiden die Schneidplatte dachförmig anschrägen. Damit kann ich die Schnittkraft um bis zu 30% verringern.

Wenn ich in einem Werkzeughub mehrere Schnitte ausführe, kann ich die Stempellängen variieren, so dass die Schnitte nacheinander stattfinden.

Bei beiden Maßnahmen steigt allerdings der Stempelweg.

Ich könnte jetzt noch über Fehler beim Scherschneiden, über die Werkzeuge, Abstreifer, Schmierung, Kraftschwerpunkte und Schnittschläge sprechen, das bewahre ich mir aber für eine Episode „Stanzen 2.0“ auf.

Ach und übrigens: Der Autor des geschenkten Buchs Herr Gerhard Oehler hat für die zweite Auflage die Werkstoffprüfung aus dem Buch herausgenommen und dafür ein eigenes Buch verfasst. Der Titel: Das Blech und seine Prüfung – Ich liebe alte Buchtitel

geschrieben von Benjamin Remmers
eingesprochen von Benjamin Remmers