| Forschung
DFG-Förderung

Mit großem Gerät kleinste Details erforschen

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat im Jahr 2022 zum zweiten Mal eine Großgeräteaktion zu Gunsten von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ausgelobt. Neben den wissenschaftlichen Forschungsgeräten werden auch Mittel für Personal, zum Aufbau und zur Betreuung bereitgestellt. Das Gerät mit dem Akronym MUST bietet neue Möglichkeiten, um die Strömung und die Zusammensetzung von Gasen zu untersuchen. Die Wissenschaftler*innen versprechen sich davon neue Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Produktion von Energieträgern aus erneuerbaren Ressourcen.

Hendrik Zachariassen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am CC4E, an der Direct Air Capure Anlage. Hier wird CO2 aus der Luft gesaugt und gebunden.

„Der HAW Hamburg ist es gelungen, etwas über 986.000 Euro zuzüglich 217.000 Euro Programmpauschale für das Großgerät MUST einzuwerben“, sagt Prof. Dr. Alexandra von Kameke nicht ohne Stolz. Die Abkürzung MUST steht für "Mobile Multianalyseeinheit für Strömungen im Kontext von Power-to-X Technologien und Wasserstoffanwendungen". Die Physikerin ist Prodekanin für Forschung an der Fakultät Technik und Informatik der HAW Hamburg. Beteiligt sind neben von Kameke aus dem Department Maschinenbau und Produktion auch weitere Kolleg*innen der HAW Hamburg – so wie sie aus dem Heinrich-Blasius-Institut, aber auch aus anderen Bereichen und Forschungseinheiten wie dem CC4E, dem Forschungs- und Transferzentrum Future Air Mobility oder dem Forschungs- und Transferzentrum für Technische Akustik.

Umweltfreundlichere Prozesse
Auch wenn das Forschungsvorhaben abstrakt klingt, hat es einen konkreten Bezug zu den Forschungsschwerpunkten Energie und Nachhaltigkeit sowie Mobilität und Verkehr der HAW Hamburg: „Stellt man beispielsweise Kraftstoffe aus Wasserstoff her, gibt es Effekte, die bisher noch nicht ausreichend erforscht sind“, erklärt Mike Blicker, Mitglied des Leitungsteams vom CC4E. Außerdem seien viele Prozesse noch sehr ineffizient und es gäbe ungewollte und teils schädliche oder giftige Nebenprodukte. „Mit neuen Erkenntnissen möchten wir dazu beitragen, die Prozesse zu verbessern und umweltfreundlicher zu gestalten“, so Blicker.

So interessieren sich die Wissenschaftler*innen beispielsweise dafür, wie sich die Strömungsführung bei energietechnischen Prozessen, beispielsweise beim Direct-Air-Capture-Verfahren, auswirkt. Bei diesem Verfahren wird der Umgebungsluft mit einer Art großem Staubsauger das Klimagas Kohlenstoffdioxid CO2 entzogen und kann im Anschluss weiterverwendet werden: Als Rohstoff in der chemischen Industrie, als CO2-neutraler Bestandteil für E-Fuels oder auch langfristig in Gestein gebunden – mit gleichzeitig positivem Effekt auf die Klimabilanz. 

Beim sogenannten Plasmacracking wird hingegen Methan mittels plasmakatalytischer Aufspaltung in Wasserstoff H2 und elementaren Kohlenstoff C zerlegt. Dieser Prozess ist eine sogenannte Brückentechnologie zum Sprung zu einer Wasserstoffwirtschaft, da das CO2 aus dem Erdgas (Methan) nicht direkt in die Atmosphäre gelangt, sondern als fester Kohlenstoff (Carbon Black) in vermarktungsfähigen Produkten genutzt werden kann, beispielsweise in Autoreifen oder Beschichtungen. Auch eine unterirdische Lagerung in alten Gas- oder Kohlelagerstätten und die Herstellung aus Biogas ist in Zukunft denkbar, was die Klimabilanz weiter verbessern würde. "Direct-Air-Capture und Plasmacracking-Verfahren können wichtige Technologien in der Umsetzung der Energiewende sein. Viele der zugrunde liegenden chemisch-physikalischen Prozesse sind aber noch nicht im Detail erforscht. MUST soll uns helfen, Forschungslücken zu schließen und damit einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel zu leisten“, argumentiert der Teamleiter CC4E, Mike Blicker.

Stellt man Kraftstoffe aus Wasserstoff her, gibt es Effekte, die bisher noch nicht ausreichend erforscht sind. Mit neuen Erkenntnissen möchten wir dazu beitragen, die Prozesse zu verbessern und umweltfreundlicher zu gestalten.

Mike Blicker, CC4E

Mit Spezialkameras der Gasströmung auf der Spur
Viele dieser chemisch-physikalischen Prozesse laufen sehr schnell ab, sodass Details mit dem bloßen Auge oder herkömmlichen Kameras nicht zu erkennen sind. Deshalb werden unter anderem auch ein Hochgeschwindigkeitslaser und mehrere Hochgeschwindigkeitskameras beschafft. Kleinste Partikel, die in die Strömung eingebracht werden, können damit beleuchtet und verfolgt werden. „Das funktioniert im Prinzip so ähnlich, als ob man die Bewegung von Staubkörnern in der Sonne mit dem Auge verfolgt“ erklärt Prof. von Kameke den Prozess. „Nur arbeiten wir hier mit mehreren Kameras, um die Strömung in 4D aufzuzeichnen.“

 

Während normale Kinokameras 24 Bilder pro Sekunde aufnehmen, können Hochgeschwindigkeitskameras mehrere Tausend Bilder pro Sekunde abspeichern. Schnell ablaufende Prozesse werden so sichtbar. „Aus den unterschiedlichen Perspektiven der Hochgeschwindigkeitskameras können wir die Flugbahnen der einzelnen Partikel rekonstruieren und so die Prozessverläufe entlang diese Flugbahnen in den Reaktoren studieren“, erklärt von Kameke. Das geht in Reaktoren, die mehrere dutzend Zentimeter groß sind, aber auch auf kleinster Skala: „Mithilfe des Stereomikroskops, das wir erhalten werden, möchten wir das Verhalten kleiner Bläschen, die bei der Elektrolyse entstehen, untersuchen“, erklärt die Physikerin (mehr Informationen: www.tubulyze.de). Darüber hinaus können mit den Hochgeschwindigkeitskameras auch technische Fragen aus der Luftfahrtforschung und der Strukturdynamik adressiert werden, wie zum Beispiel die Umströmung und die Verformung von Flugzeugflügeln, was das Interesse aus den Forschungs- und Transferzentren Future Air Mobility und Technische Akustik der HAW Hamburg begründet.
 

Der „Gesang“ der Gasmoleküle
Aber es gibt noch einen weiteren wichtigen Teil des Forschungsgeräts MUST. Neben der Strömung soll auch die Gaszusammensetzung der Prozessgase genau bestimmt werden. Mit Hilfe eines Gaschromatographen können die Wissenschaftler*innen Gasgemische in einzelne Verbindungen auftrennen und analysieren. Das zusätzlich eingesetzte photoakustische Verfahren beruht darauf, dass einzelne Gasmoleküle mit Licht angeregt werden. Mit besonderen Mikrofonen wird dann die akustische Schwingung dieser Moleküle aufgezeichnet, denn jedes Gasmolekül hinterlässt einen ganz eigenen „Gesang“ und kann somit detektiert werden, auch wenn es nur in kleinsten Spuren vorkommt.

„Mit der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft können wir jetzt gemeinsam so richtig loslegen und für die Energiewende forschen, das wird spannend“, ist von Kameke überzeugt.

(Text: Tiziana Hiller, Dr. Sandra Off)

Neben dem Großgerät MUST (DFG INST 870/21-1) werden noch 14 weitere Großgeräte an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften aus ganz Deutschland gefördert. Mehr Informationen zur DFG-Förderung gibt es hier.

Kontakt

Prof. Dr. Alexandra von Kameke
Fakultät Technik und Informatik
Department Maschinenbau und Produktion
Prodekanin für Forschung, Fakultät TI
alexandra.vonkameke (at) haw-hamburg (dot) de

x